Textdokumente

Atomausstieg nicht in Frage stellen

Christoph Kähler, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen warnt davor, den Ausstieg aus der Atomenergie in Frage zu stellen: «Die Nutzung der Atomenergie hat keine Zukunft. Sichere Atomkraftwerke gibt es ebenso wenig wie den fehlerlosen Menschen. Mit jedem Atomkraftwerk, das noch in Betrieb ist, wird uns ein Restrisiko zugemutet.» Zudem werde den nachfolgenden Generationen strahlender Müll aufgebürdet, der Tausende von Jahren sicher gelagert werden muss. Es sei völlig unklar, ob das überhaupt möglich ist. Kähler verwies auch auf die enormen Schäden durch den Uranbergbau. Gerade in Thüringen mussten durch den einstigen Uranabbau in der Region um Ronneburg mehrere Milliarden Euro für die Sanierung des Gebietes investiert werden.
Die Synode der Thüringer Landeskirche hat bereits 1994 mit einem eigenen Beschluss die Nutzung der Atomenergie als «nicht verantwortbar» bezeichnet. Vor dem Hintergrund von Reaktorkatastrophen wie dem Super-GAU von Tschernobyl und den langfristigen Folgen des Uranbergbaus hat sich die Landessynode für den schrittweisen Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie eingesetzt.
«Wer angesichts einer Diskussion um die Endlichkeit fossiler Brennstoffe die Atomenergie wieder salonfähig machen will, wiederholt die energiepolitischen Fehler vergangener Jahrzehnte.» Die Nutzung der Atomenergie habe über viele Jahre große Summen öffentlicher Forschungsgelder verschlungen. Sinnvoller wäre gewesen, diese in den Ausbau regenerativer Energien zu investieren. «Die energiepolitische Zukunft liegt in der Energieeinsparung und in der verstärkten Nutzung regenerativer Energien.» Im holzreichen Thüringen könne auch Holz umfangreicher als bisher für den Einsatz in Blockheizkraftwerken oder direkt zum Heizen genutzt werden. (pm/elkth/rbr, 12.01.2006)

Das Wismut-Erbe

Von SUSAN BOOS*

„Mitten im malerischen Erzgebirge, in der ehemaligen DDR, liegt das grösste Uranabbaugebiet Europas: Die Abraumhalden und Gruben der Wismut. Zeitweilig arbeiteten 137'000 Bergleute in den elf Minen, viele von ihnen zwangsverpflichtet. 1967 erreichte die Uranförderung ihren Höhepunkt, man förderte 7'100 Tonnen Uran. Die Halden, auf denen das Gestein lagerte, das man nicht verwerten mochte, enthalten jedoch noch viel Uran. Auf den wild bewachsenen strahlenden Schutthügeln spielten jahrzehntelang Kinder. 1991 begann man, die Anlagen definitiv stillzulegen und sich mit den gigantischen Umweltschäden zu befassen. Grosse Probleme bereiteten vor allem die Absatzbecken, in denen der radioaktive Schlamm aus der Uranaufbereitung lagerte.

Die Minen und Halden sind inzwischen begrünt. Doch die UmweltschützerInnen der Gegend sind sich einig: Da wird nicht etwa Atommüll entsorgt, da werden nur die äusserlich sichtbaren Schäden beseitigt – die Wismut bleibt ein offenes Atommülllager, das noch über Jahrtausende strahlen wird.

Bei mehr als 6'500 Bergleuten hat man inzwischen Lungenkrebs als Berufskrankheit anerkannt, jährlich kommen 200 weitere Fälle hinzu. Auch die Normalbevölkerung ist, laut dem Freiburger Öko-Institut, aufgrund der radioaktiven Belastung durch die Radonemissionen einem um bis zu zehn Prozent erhöhten Krebsrisiko ausgesetzt.“ 

(Aus dem Buch „Strahlende Schweiz“ von Susan Boos, Rotpunktverlag Zürich 1999, S. 240)

*Susan Boos ist Redaktorin der Wochenzeitung WOZ und beschäftigt sich seit Jahren mit Atom- und Energiepolitik

Energie aus der Wüste

Deutsche Unternehmen wollen in der Sahara Solarstrom produzieren

Grosse deutsche Strom- und Finanzkonzerne wollen Deutschland schon in zehn Jahren mit Sonnenenergie aus der Sahara versorgen. Ein Konsortium soll jetzt politische und finanzielle Probleme aus dem Weg räumen. Geplant sind riesige Solarkraftwerke in der nordafrikanischen Wüste.

srs. Prima vista klingt es wie ein grüner Zukunftsroman: «Saubere» Sonnenenergie aus der Sahara für die europäischen Strommärkte. Die spektakuläre Idee gibt es schon lange, sie war Inhalt verschiedener Forschungsprojekte. Doch bisher wurden derartige Projekte von den Grossen der Branche eher belächelt.

Das hat sich inzwischen grundlegend geändert, die Vision könnte Realität werden. Denn deutsche Konzerne planen in Nordafrika – die Sahara ist von ihrer Fläche etwa so gross wie die USA - den Bau riesiger Solarparks. Von 2019 an könnte schon der erste Strom fliessen, ab 2050 liessen sich auf diese Weise etwa 15 Prozent des europäischen Strombedarfs decken.

Das Projekt «Desertec», eine Wortverbindung aus den englischen Wörtern Desert (Wüste) und Technology (Technik), soll auf einer Fläche von 130 mal 130 Kilometern in Nordafrika realisiert werden. Solarthermische Anlagen könnten dort Strom aus dem Licht der Sonne produzieren. Auch afrikanische Länder sollen mit Energie beliefert werden.

Beteiligung der ABB

srs. Auch die schweizerische ABB ist an dem Riesen-Projekt und dessen weiterer Koordination dabei. Der Technologiekonzern war finanziell an einer ersten Machbarkeitsstudie beteiligt und begleitet das Projekt schon länger inhaltlich. Schwerpunkte sind dabei Stromübertragung und Solartechnik.

Die Dimensionen des gigantischen Projekts werden nicht zuletzt an den Kosten deutlich, die auf rund 400 Mrd. Euro für Solarkraftwerke und Stromleitungen geschätzt werden. Zum Vergleich: Der Entwurf für den deutschen Staatshaushalt im laufenden Jahr beträgt 290 Mrd. Euro. Allerdings sollen sich die Kosten des Projekts auf 30 Jahre verteilen. Dennoch seien Subventionen in der Startphase nötig, sagen die Initianten.

Folgen des Klimawandels

Die Federführung des Projekts liegt bei der Münchner Rück. Die grösste Rückversicherung der Welt verbindet damit handfeste Interessen. Denn Rückversicherungen sind von den Folgen des Klimawandels deutlich betroffen. Allein im vergangenen Jahr beliefen sich die Schäden aus Naturkatastrophen für Erst- und Rückversicherer weltweit auf insgesamt 200 Mrd. Dollar. Die Tendenz ist steigend, um drei bis vier Prozent jährlich: «Langfristig ist der Klimawandel ein grösseres Problem als die Finanzkrise», sagte Torsten Jeworrek, Vorstandsmitglied der Münchner Rück der «Süddeutschen Zeitung».

Die Kalkulation von Prämien für Versicherungen werde zunehmend schwieriger, ebenso die Prognose solcher Ereignisse. «Wenn wir es nicht schaffen, den Klimawandel zu begrenzen, dann trifft es uns als Unternehmen genauso, wie es die Gesellschaft trifft », ergänzte er.

Mitte Juli soll das weitere Vorgehen koordiniert und ein Fahrplan für die nächsten Jahre ausgearbeitet werden. Ausser dem Rückversicherer sind unter anderem der Siemens-Konzern, die Energieversorger E.on, RWE, Schott Solar und die Deutsche Bank sowie weitere Unternehmen aus Deutschland, Italien und Spanien vertreten. Das Auswärtige Amt schickt einen Stellvertreter von Minister Steinmeier, weiter sind die Arabische Liga und der Club of Rome beteiligt, auf den das Projekt zurückgeht.

Relativierung der Kosten

Der Präsident der deutschen Gesellschaft des Club of Rome, Max Schön, verteidigt das Projekt als realistisch und rentabel. Innerhalb einer Generation könnten 90 Prozent des Bedarfs aus Sonnenenergie gewonnen und zugleich der Kohlendioxid-Ausstoss drastisch reduziert werden, sagte er in einem Radio-Interview. Mit Blick auf die geschätzten Kosten von 400 Mrd. Euro meinte er, in den nächsten 30 Jahren müssten alle bestehenden Kraftwerke erneuert werden. Daher handele es sich um Investitionen, die ohnehin getätigt werden müssten.

Die Stromübertragung soll mit Hochspannungs-Gleichstrom erfolgen. Siemens verwirklicht diese Technik derzeit in China, der Leistungsverlust beträgt über 1000 Kilometer gerade einmal drei Prozent. Wechselspannungs-Leitungen, wie sie heute Standard sind, können das nicht leisten. Auch entsprechende Kraftwerke existieren bereits, etwa in Spanien und Kalifornien.

Skeptische Solarfirma

Kritisch zu dem Projekt hatte sich ausgerechnet die grösste deutsche Solarfirma Solarworld geäussert. «Baut man die Kraftwerke in politisch instabilen Ländern, bringt man sich in die gleiche Abhängigkeit wie beim Öl», sagte deren Chef Frank Asbeck. Demgegenüber betont Hans-Müller Steinhagen vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, das ebenfalls hinter dem Projekt steht: Um das Risiko zu streuen, könne man diese Unwägbarkeiten mit mehreren Übertragungsleitungen aus verschiedenen Standorten in Nordafrika umgehen.

(Erschienen in NZZ Online 18.06.2009, Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zürcher Zeitung, www.nzz.ch)

Gier (Kolumne)

Im Text von Annemarie Pieper geht es nicht um Atomkraftwerke. Wir fügen ihn hier gleichwohl ein, in der Meinung, es lohne sich, auch mal hinter die äussere Fassade der Auseinandersetzung zu schauen. Und da findet sich so einiges an Gründen, weshalb Atomenergie überhaupt zur Diskussion steht. Nicht nur Gier, es ist auch die (fast) unbestrittene und kaum hinterfragte Wachstumsphilosophie oder unsere auf dem Zins beruhende Wirtschaftsordnung.

Von ANNEMARIE PIEPER*

„Die Gier ist in aller Munde. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht auch in den Printmedien den für die derzeitige Weltwirtschaftskrise verantwortlich Gemachten Gier vorgeworfen wird. Am Pranger stehen Finanzhaie, Raubtiere und Heuschrecken – besonders gefrässige Lebewesen, die über die Lebensgrundlagen ihrer Artgenossen herfallen und sie vernichten.

Man beleidigt jedoch die Tiere, wenn sie als Muster für Gier herhalten müssen, denn ihr Fressverhalten ist selbstgenügsam; es kennt ein Mass. Menschliche Gier hingegen ist unersättlich und damit masslos. An die Stelle des natürlichen Kontrollmechanismus, der die Tiere davon bewahrt, ein Zuviel an Futter zu verzehren, ist bei den Menschen die freie Selbstbestimmung getreten, die sich an Vernunftprinzipien orientiert. Doch wenn die Stimme der Vernunft kein Gehör findet, gehen Grenzen und Mass verloren.

Habgier, Raffgier, Besitzgier und am Ende die nackte Gier sind die Folgen des Kontrollverlustes. Das ist gleichsam der Supergau der Freiheit. Anstatt unsere elementaren Bedürfnisse durch sparsamen Umgang mit den verfügbaren Ressourcen zu befriedigen und damit die Lebensqualität langfristig zu stabilisieren, setzen wir übermütig auf ungebremsten Fortschritt, grenzenlose Steigerung des Nutzenwachstums und uneingeschränkte Vermehrung materieller Güter. Haben wir vergessen, dass uns schon die allererste Gier das Paradies gekostet hat? (…)

Gier ist ansteckend. Selbst die allgemein eher positiv beurteilte Neugier, die Wissensdurst, Abenteuerlust und Entdeckerfreude fördert, kann in reine Massengier umschlagen, was die magisch angezogenen Scharen von Gaffern an Unfallstellen beweisen, aber auch die Klatschblätter, die den Voyeurismus einer promigierigen Leserschaft bedient. Da wir uns sowohl beruflich als auch privat in einem ständigen Wettbewerb befinden, uns mit und an anderen messen müssen, bleibt der Neid auf die besser Weggekommenen nicht aus. Der Neid facht den Hunger nach Anerkennung an und steigert die Gier, alle anderen zu übertrumpfen. (…)“. (Basler Zeitung 14.06 2010)

* Annemarie Pieper, Kolumnistin und Buchautorin, bis 2001 ordentliche Professorin für Philosophie an der Universität Basel

Atomenergie ist eine gefährliche Ablenkung

Kernkraft kann fossile Brennstoffe nicht ersetzen, sagt Jan Beránek*, Leiter der Anti-Atomkraft-Kampagne von Greenpeace: zu schmutzig, zu gefährlich, zu teuer und eine Ablenkung von wirklichen Klimalösungen.

Von JAMES TULLOCH

Greenpeace argumentiert, dass die Kernkraft zum Kampf gegen den Klimawandel nichts beizutragen hat. Warum nicht?

Nur ein kleiner Teil des weltweiten Energiebedarfs kann durch Kernkraft abgedeckt werden und das auch erst nach längerer Zeit: Es dauert 10 bis 15 Jahre, einen Reaktor zu bauen und außerdem ist es sehr teuer. 

In ihrer Studie "Energy Technologies Perspective 2008" zeigten die OECD und die Internationale Energieagentur IEA, wie der Energiesektor seinen CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2050 um 80 Prozent senken könnte. Sie gingen von der Annahme aus, dass 1300 neue Kernreaktoren gebaut würden – ein Anstieg auf das Vierfache. 

Doch die Kernkraft würde nur sechs Prozent zur CO2-Reduzierung beitragen. Eine Kombination von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien hingegen käme auf 60 Prozent. 

Wie kohlenstoffarm ist Kernkraft eigentlich? Befürworter behaupten, die Emissionen machten im Vergleich zu Kohle oder Gas nur zwei bis vier Prozent aus.

Es sind mehr. Benjamin Sovacool von der National University in Singapur hat 103 Veröffentlichungen zum CO2-Fußabdruck von Kernkraft verglichen und kommt zu dem Schluss, dass 66 Gramm CO2 pro Kilowattstunde wohl die verlässlichste Schätzung ist. Das sind immerhin sechs bis zehn Prozent der Emissionen eines Kohlekraftwerks. 

Die eigentliche Frage ist aber, wie viel fossile Brennstoffe durch neue Reaktoren ersetzt werden können. Und das bringt uns wieder auf das eingangs erwähnte Szenario von OECD und IEA. 

Aber die Erfahrungen zeigen, dass Frankreich und andere Länder mittels Kernkraft ihre Emissionen verringern konnten. 

Frankreich hat zwar einen niedrigen Pro-Kopf-Ausstoß, aber der steigt. Frankreich importiert derzeit so viel Öl wie in den frühen 70er Jahren und im Winter importiert es Strom aus anderen europäischen Ländern, weil es selbst nicht genug Kapazitäten hat. 

Mit der französischen Kernkraft sind hohe wirtschaftliche und ökologische Kosten verbunden, was schlicht ignoriert wird, weil die Firmen vom Staat finanziert werden.

Ein ungelöstes Problem ist auch der radioaktive Abfall. Er lagert in Behältern, und der schwach radioaktive Flüssigabfall aus der Wiederaufbereitungsanlage in La Hague wird ins Meer gekippt. 

Schauen sie sich an, woher Frankreich sein Uran bezieht. Es wird in Ländern mit niedrigen Umwelt- und Gesundheitsvorschriften abgebaut, beispielsweise in Niger oder Kasachstan. Greenpeace fand kürzlich heraus, dass die radioaktive Belastung der Straßen von Akokan in Niger 500-mal über dem normalen Wert liegt. 

Kernkraft gehört zu den sichersten Technologien, die wir haben, sagen Befürworter. Es habe nur einen tödlichen Unfall gegeben und Zusammenhänge mit Erkrankungen seien nicht erwiesen. 

Nach Tschernobyl gab es in Japan, Schweden und einigen US-amerikanischen Reaktoren viele kleinere Unfälle und Pannen. Es ist einfach Glück, dass aus keinem dieser Unfälle eine Katastrophe wurde. 

Die Versicherungswirtschaft hat extreme Probleme damit, Schäden zu versichern, die durch Atomunfälle entstehen. Wenn es keine Risiken gäbe, dann wären die Versicherer nicht so ängstlich. 

Es lässt sich nicht zweifelsfrei beweisen, dass jemand durch ein Kernkraftwerk Krebs bekommen hat und gestorben ist. Aber Untersuchungen in Deutschland zeigen, dass es in der Nähe von Kernkraftwerken vermehrt Fälle von Leukämie gibt. 

Die Befürworter der Kernkraft behaupten, abgebrannte Brennstoffe seien kein Müll, sondern eine Energiequelle der Zukunft. Der Kernbrennstoff könne und würde wieder recycelt werden. 

Was die Atomwirtschaft macht, ist Wiederaufarbeitung. Das geschieht schon seit Jahrzehnten – bevor es Recycling genannt wurde. Weniger als ein Prozent der Kernbrennstoffe werden wiederaufbereitet, demnach sind 99 Prozent Abfall. Ich würde sagen, das kann man nicht Recycling nennen – es ist pure Propaganda. 

Außerdem entsteht bei der Wiederaufarbeitung Plutonium. Wenn bei einem Reaktor pro Jahr 20 Tonnen abgebrannte Kernbrennstoffe entstehen, dann entspricht das etwa 200 Kilo Plutonium. Das ist genug Material, um mehrere Dutzend Atomwaffen zu bauen. 

Atomwaffen und Atomenergie sind aber verschiedene Themen. Menschen sterben auch durch Autobomben, aber niemand verbietet Autos.

Es gibt da eine Überschneidung. Die Anreicherungs-Technologie, die Endlagerstätten und die Materialien, Uran und Plutonium, werden für Atomkraft und Atomwaffen verwendet. 

Das Risiko steigt erheblich, wenn es um viermal so viele Reaktoren weltweit geht - vor allem in Ländern, die keine garantierten Sicherheitsstandards haben wie Saudi-Arabien, Jemen und Weißrussland. Dann werden wir viel über die Nicht-Verbreitung von Kernwaffen diskutieren müssen. 

Sie sagen auch, Kernkraft sei nicht wirtschaftlich. Warum?

Die Behauptung, Kernkraft sorge für billigen Strom stimmt mit Blick auf die Reaktoren, die zwischen den 1960er und 1980er Jahren gebaut wurden. Sie entstanden mit staatlichen Mitteln und die Baukosten sind abgeschrieben. Wenn wir über neue Reaktoren sprechen, sieht das anders aus. 

Zum Beispiel der neue Reaktor, den Frankreich in Finnland baut: Er sollte drei Milliarden Euro kosten. Inzwischen hat sich der Preis verdoppelt und die Fertigstellung verzögert sich um vier Jahre. Seit 50 Jahren ist es immer das Gleiche: Fast alle Reaktoren kosten zwei- bis dreimal so viel wie versprochen. 

Wenn man also auf die gesamte Lebensdauer hochrechnet, wie viel Strom ein neuer Reaktor produziert, würde Atomstrom etwa 10 Cent pro Kilowattstunde kosten. Strom aus Windkraft kostet – ohne Subventionen – 6 bis 7 Cent pro Kilowattstunde. 

Der Bau von 1300 neuen Reaktoren würde sechs bis sieben Billionen Dollar kosten. Die Welt sollte dieses Geld lieber in erneuerbare Energien und Energieeffizienz investieren. Das würde die CO2-Emissionen innerhalb von Jahren reduzieren, nicht in Jahrzehnten. 

Sind Wind- oder Solarenergie für die Sicherung der Grundlast nicht zu unzuverlässig? Hier bleibt doch wirklich nur die Wahl zwischen fossilen Brennstoffen und Kernkraft.

Diese Ansicht ist veraltet. Dank neuer Netztechnologien können wir mit einer 100-prozentigen Kombination aus Windkraft, Solarenergie und Biomasse eine stabile Stromversorgung sicherstellen.

Bis zum Jahr 2020 könnte ein Drittel des weltweiten Strombedarfs durch Erneuerbare Energien abgedeckt werden, bis 2030 sogar die Hälfte - das besagt die Greenpeace-Studie "Globale Energierevolution", der IEA-Statistiken zugrunde liegen. Die neu installierte Windenergie-Leistung lag 2008 bei 25.000 Megawatt. Die Atomindustrie konnte solche Zahlen zuletzt im Jahr 1993 vorweisen. 

Selbst wenn Sie davon ausgehen, dass der Wind jährlich nur in 20 Prozent der Zeit weht, entspricht das immer noch der Stromproduktion von acht großen Kernkraftwerken. Und seit zwei Jahren hat die Atomwirtschaft keinerlei neue Kapazitäten geschaffen. 

Gibt es wirklich eine Renaissance der Kernkraft oder gewinnen Sie den Streit?

Offiziell befinden sich weltweit 56 Reaktoren im Bau, auch wenn an einem Drittel der Projekte schon über 20 Jahre gearbeitet wird. In jüngster Zeit werden mehr Reaktoren stillgelegt als neu in Betrieb genommen. 

Derzeit bauen nur vier Länder mehr als zwei Reaktoren, allen voran China mit 19 Anlagen, gefolgt von je einem halben Dutzend Anlagen in Indien, Korea und Russland. 

Wenn man die OECD-Länder betrachtet, gibt es keine Renaissance der Kernkraft. Trotz aller Versprechungen, neue Reaktoren zu bauen, bewegt sich in den USA seit zwei Jahren nichts, weil die Industrie mehr Geld von der Regierung will. 

Es kann schon sein, dass die Umwelt-Propaganda der Industrie jetzt stark ist, aber sowie der Bau einer Anlage beginnt, werden die Öffentlichkeit und die Entscheidungsträger merken, wie groß die Kluft zwischen den Versprechungen und der Realität ist.

*Jan Beránek, Leiter des internationalen Kernkraft-Projekts von Greenpeace:
"Der Bau von 1300 neuen Reaktoren würde sechs bis sieben Billionen Dollar kosten. Die Welt sollte dieses Geld lieber in erneuerbare Energien und Energieeffizienz investieren“ 

© Allianz 2009

Nachhaltige Energieversorgung

Von PIERRE FORNALLAZ*

Seit der Erdbeben- und Nuklearkatastrophe von Fukushima in Japan ist viel Gegensätzliches zum Thema Energieversorgung geschrieben worden. Es scheint mir aber, dass einige sehr grundsätzliche Feststellungen zu kurz gekommen sind. Es sind vor allem wissenschaftliche Gedanken, die politisch umgesetzt werden sollten.

Verschwendung

Die Weltgemeinschaft hat sich 1992 in Rio de Janeiro zur Nachhaltigkeit bekannt. Öl, Gas, Kohle und Uran sind erschöpfliche Güter, und sie sind deshalb nicht nachhaltig. Ihre heutige, verschwenderische Nutzung erfolgt auf Kosten der Natur (Klimaproblemantik) und auf Kosten unserer Nachkommen (Aufbrauchen eines Kapitals).

Die Nutzung erschöpflicher Güter kann nicht wirtschaftlich sein, wenn die Materialien nach der Nutzung nicht rezykliert werden können. Das Energieproblem kann also mit nicht rezyklierbaren Gütern wie Öl, Gas, Kohle und Uran nicht gelöst werden. Aus demselben Grund sind sie eben auch nicht wirtschaftlich.

Die Erde verfügt aber für menschliche Massstäbe unerschöpfliche Energiequellen, welche alle menschlichen Bedürfnisse abdecken können: die direkte Sonnenstrahlung sowie die indirekten Produkte dieser Strahlung (die durch Photosynthese erzeugte Biomasse, der Wasserkreislauf und der Wind). Diese Energiequellen sind alle immer sowohl nachhaltig als auch wirtschaftlich, und zwar ganz unabhängig von ihrem augenblicklichen Preis.

Rücksicht und Verzicht   

Die Nutzung dieser unerschöpflichen Energiequellen darf aber nicht rücksichtslos erfolgen. Alle anderen Aufgaben, welche diese Quellen auf der Erde erfüllen, müssen beachtet werden. Der Wald muss als Luftreiniger, Regulator der Wasserführung der Flüsse und Lawinenschutz im Gebirge erhalten werden.

Die Vielfalt der Natur mit Pflanzen und Tieren muss erhalten bleiben. Die Nutzung der Wasserkraft muss unter Berücksichtigung aller anderen Aufgaben, welche Bäche und Flüsse erfüllen, rücksichtsvoll erfolgen. Dasselbe gilt für die Windkraftnutzung. Die natürliche, nachhaltige Nahrungsmittelproduktion (Biolandbau) hat Vorrang. Die Sonnenenergienutzung bedeutet deshalb nicht Wachstum ohne Grenzen. Sie fordert einen effizienten Energieeinsatz, folglich den Verzicht auf die oben erwähnte Verschwendung. Ebenfalls ist Genügsamkeit gefordert, was aber nicht Verzicht heisst. Im Gegenteil. Es geht um eine spirituelle Entwicklung, das Entdecken der Ganzheitlichkeit des Lebens, den Übergang vom Haben zum Sein. Es geht um die Steigerung der immateriellen Qualitäten des menschlichen Lebens.

*Pierre Fornallaz, (1942 - 2011), dipl. Ing., em. Professor ETH, war erster Präsident der Schweizerischen Vereinigung für Sonnenenergie SSES.

Tschernobyl und die Schweiz

Von SUSAN BOOS*

Von Seiten der Behörden und AKW-Betreiber heisst es immer wieder, Tschernobyl sei nicht vergleichbar mit unseren Reaktoren: Unsere seien sicherer, besser gewartet und das Personal perfekt ausgebildet. Das mag einerseits zutreffen, andererseits haben das bislang alle AKW-Betreiber der Welt behauptet. Auch diejenigen von Three Mile Island waren überzeugt, bei ihnen könnte sich nie ein schwerer Unfall ereignen. Sonst hätten sie wohl kaum zugelassen, dass wenige Monate vor dem Unfall der US-Film „The China Syndrom“  auf Three Mile Island fertig gedreht wurde. Der Film schildert, wie in einem AKW der Reaktor durchzuschmelzen droht. Mit „Chinasyndrom“ bezeichnen Insider scherzhaft eine Kernschmelze, bei der sich ein tonnenschwerer Urankern in die Erde Richtung Asien frisst. Im Film gibt es ein Happyend. Er lief in den US-Kinos, als man in der Umgebung von Three Mile Island Schwangere und Kinder evakuierte.

Dass technisch betrachtet ein Unfall wie in Tschernobyl in unseren Reaktoren nicht passieren kann, stimmt insofern, als es sich um einen ganz anderen Reaktortyp handelt. „Tschernobyl“ hatte aber auch Vorteile, die die Schweiz nicht vorweisen kann. Die Anlage steht zum Beispiel in schwach besiedeltem Gebiet. Ein weiterer „Vorteil“ war, dass der Reaktor buchstäblich explodierte, wodurch ein grosser Teil der Spaltprodukte in die Atmosphäre geschleudert und über den ganzen Erdball verteilt wurde. Dies wäre – wie das Öko-Institut Darmstadt errechnete – bei den Schweizer Reaktoren anders: Weil sie eine andere Konstruktion aufweisen, käme es zu „niedrigeren Freisetzungshöhen – bis zu einigen hundert Metern“, die „zu höheren Belastungen in kleinen und mittleren Entfernungen (damit sind Entfernungen bis zu einigen hundert Kilometern gemeint)“ führen. Die Radionuklide gingen also in der Schweiz und dem angrenzenden Ausland nieder. (Aus dem Buch „Strahlende Schweiz“ von Susan Boos, Rotpunktverlag Zürich 1999, S. 162)

*Susan Boos ist Redaktorin der Wochenzeitung WOZ und beschäftigt sich seit Jahren mit Atom- und Energiepolitik

Uranabbau in Krasnokamensk (Sibirien)

Von SUSAN BOOS*

„Die grösste Uranmine Russlands – laut deren Direktor sogar die grösste der Welt – liegt in Krasnokamensk in Sibirien. Seit Anfang der Sechzigerjahre baut man dort Uran ab, das anfänglich vor allem für Rüstungszwecke verwendet wurde. Heute wird alles gewonnene Material ins Ausland verkauft und stellt eine der grössten Einnahmequellen Sibiriens dar. 

In Krasnokamensk sind drei Untertagminen sowie eine Tagebaumine in Betrieb, die fünfhundert Meter tief ist und einen Durchmesser von einem Kilometer hat. Die Minen sind umgeben von Abraumhalden, Uranmühlen und Absetzbecken, die eine Fläche von zirka sieben Quadratkilometer bedecken. Dazwischen stehen die Häuser der 70'000 KrasnokamenskerInnen. In einigen der Häuser beträgt der Radongehalt 28’000 Becquerel pro Kubikmeter – in der Schweiz gilt für Neubauten ein Radongrenzwert von 400 Bq. Die Häuser müssten saniert werden, doch fehlt dazu das Geld. 

Seit Krasnokamensk nicht mehr unter strikter militärischer Kontrolle steht, kommen erste Ergebnisse über den Gesundheitszustand von ArbeiterInnen und Bevölkerung an die Öffentlichkeit: 1989 waren 79 Prozent der Männer, die in der Region starben, noch nicht 6o Jahre alt – Haupttodesursache: Krebs. Die Anzahl Kinder, die mit unterentwickelten Gliedmassen zur Welt kamen ist um das Vierfache höher als bei Säuglingen in Irkutsk; bei 51 Prozent der Schwangerschaften weisen die Föten Entwicklungsstörungen auf; die Krankheitsrate unter den Krasnokamensker Kindern ist um zehn bis zwanzig Prozent höher als bei Kindern in anderen russischen Städten, die ebenfalls unter widrigen Umweltbedingungen aufwachsen. Niemand trägt eine Schutzmaske oder Schutzkleidung. Die Arbeiter, die an Orten arbeiten, wo sie erhöhter Strahlung ausgesetzt sind, werden zwar jährlich einem Gesundheitstest unterzogen, das Ergebnis erfahren sie aber nie.

Ähnliche Geschichten liessen sich über die Uranminen in Kanada, Australien, Gabun oder Usbekistan anführen. Allen diesem Minen ist gemeinsam: Sie richten gewaltige, irreversible Umweltschäden an. Die Grubenarbeiter sind extremen Gesundheitsrisiken ausgesetzt, ein hoher Prozentsatz leidet unter Atemwegserkrankungen und Tumoren, insbesondere an Lungenkrebs. Dasselbe gilt für die Bevölkerung, die in der Nähe der Minen leben muss.

Man hat es schon als „Laune der Natur“ bezeichnet, dass siebzig Prozent der Uranminen auf den Territorien indigener Völker liegen. 

(Aus dem Buch „Strahlende Schweiz“ von Susan Boos, Rotpunktverlag Zürich 1999, Seite 256)

*Susan Boos ist Redaktorin der Wochenzeitung WOZ und beschäftigt sich seit Jahren mit Atom- und Energiepolitik

Windenergie mit Zugdrachen nutzen

Von PETER TSCHANZ*

Wir stellen Ihnen hier ein neues Windkraftsystem vor, das das Potenzial hat, an fast jedem Standort billige Energie zu produzieren. Mit einer Gruppe an Windenergie Interessierter besuchte ich im Januar 2011 in Sommariva Perno (Piemont) eine 3-Megawatt-Zugdrachen-Anlage vom Typ Kite Gen Stem. Die Anlage war zu diesem Zeitpunkt im Aufbau, die endgültige Betriebsaufnahme ist für Sommer 2011 vorgesehen.

Funktionsweise

Auf www.kitegen.com ist in einer Computeranimation zu sehen, wie eine Zugdrachen-Anlage funktioniert: Der Drachen fliegt in achterförmigen Kreisen, vom Wind getrieben, auf 800 Meter Höhe. Auf dieser Höhe sind die Winde stärker und konstanter als 100 m über dem Boden. Die vom Drachen gezogenen Seile bringen zwei Generatoren von je 1,5 Megawatt Leistung zum Drehen. Der Arbeitstakt (Produktionsphase), beträgt zwei Minuten, der Rückzug des Drachens 20 Sekunden. Wenn nur eine einzige Anlage im Betrieb ist, steht zur Überbrückung der 20 Sekunden ein tonnenschwerer Kondensator zur Verfügung.

Stand der Entwicklung Ende Januar 2011

Eine 40-Kilowatt-Anlage wurde 6 Jahre für Versuchszwecke eingesetzt und ist inzwischen abgebaut. Da die 3-MW-Anlage in Sommariva Perno (Piemont) ähnlich funktioniert wie die abgebaute Versuchs-Kleinanlage und beim Aufbau ein professionelles Team am Werk ist, kann man zuversichtlich sein, dass auch die Grossanlage funktionieren wird. 

Die Steuerung der Versuchsanlage wird zur Optimierung des Computerprogramms auch in die 3-MW-Anlage  eingebaut. Die einzelnen Bauteile (2 Bobinen für die Zugseile, 2 x 2000 Meter Seil, 2 Generatoren zu je 1,5 MW und der oben erwähnte Kondensator) stehen einbaubereit neben der Anlage. Der Bau ist schon seit Jahren geplant, wurde jedoch, hauptsächlich wegen Einsprachen und bürokratischer Hindernisse, immer wieder verzögert. Bei unserem Besuch trafen wir erfahrene, motivierte Flugzeugbauingenieure an der Arbeit.

In der Schweiz forscht www.swisskitepower.ch an ähnlichen Systemen, auch in Delft (Holland) und in den USA wird in dieser Richtung geforscht.

Vergleichstabelle

Anlagetyp

Enercon 82

Propeller

2 MW

Kite Gen Stem

3 MW

Kite Gen Carousel

1 GW

KKW Gösgen

 

1 GW

Voll-Laststunden Schweiz, pro Jahr

1‘500 – 1‘800

4‘300 (mindestens)

 

4‘300

(mindestens)

8100

Maximal installierbare

Leistung pro km2

12 MW

( 6 Anlagen)

300 MW

(100 Anlagen)

500 MW

(0,5 Anlagen)

(1‘020 MW)

Jahresproduktion

Pro Einheit

Pro km2

 

3,8 GWh

 21 GWh

 

12 GWh

1‘200 GWh

 

2‘100 GWh

 

8‘100 GWh

Anlagekosten pro kW, 

Produktionskosten

Pro kWh

2‘000 Euro

0,14 Euro

1‘000 Euro

0,05 Euro (Tendenz sinkend)

Viel tiefer

0,03 Euro (Tendenz sinkend)

2‘000 CHF (1979)

0,03 Euro

(bei Neuanlagen höher)

Flugverbotszone

 

 

Jede weitere Anlage

150 m hoch

20 km2 

2‘000 m hoch

 

+ 0,01 km2

12 km2 

1500 m hoch

 

+2,5 km2/GW

Je nach Land,

z.B. 12 kmin Trino (Italien)

Beeinträchtigung der

Landschaft:

 

Akustisch

 

 

Optisch

 

 

 

Geräusche hörbar

 

Säule, Turbine 

 

 

 

Kaum hörbar

 

 

Gehäuse 8 m hoch

Drachen auf 800m Höhe

 

 

 

Wie langsam fahrende Bahn

 

Rundbahn,

200 Segel auf 800 m Höhe

 

 

 

Keine

 

 

Kühlturm Dampffahne, Hochkamin, Reaktorgebäude

Material- und Landverbrauch

Für eine 3-MW-Anlage werden ca. 20 t Stahl, 300 kg Kupfer, 800 kg Kunststoff und 120 t Beton benötigt.

Um die Jahresproduktion eines Atomkraftwerks zu ersetzen, bräuchte es 675 Kite Gen Stem-Anlagen und dafür etwa die gleiche Bodenfläche wie für das KKW Gösgen. Es sind auch platzsparendere Konstruktionen denkbar. 

Bei Anlagen vom Typ Kite Gen Carousel (kreisförmige, von einem Zugdrachen gezogene, sich auf Schienen fortbewegende Generatoren) ist noch nicht bekannt, welche Bodenfläche benötigt wird. Solche Anlagen können übrigens ohne Probleme den topografischen Gegebenheiten angepasst werden.

Was die Rückgewinnung der grauen Energie (für die Herstellung der Baustoffe und den Bau der Anlage eingesetzte Energie) anbelangt, sind die Zugdrachen-Systeme äusserst umweltfreundlich. Im Vergleich zu Atomkraftwerken ist der Materialaufwand um ein Vielfaches kleiner. Er ist sogar kleiner als bei Windturbinen oder Solaranlagen.

Standorte

Rechtlich sind Zugdrachen fliegende Objekte und dürfen den Flugverkehr nicht beeinträchtigen. Sie bedingen daher eine Flugverbotszone. Der Aufbau von Zugdrachen-Parks ist damit sinnvoller als die Errichtung von Einzelanlagen. Aus energietechnischen Gründen sollten sowieso immer mindestens drei Kite Gen Stem-Anlagen am gleichen Ort stehen. 

Im Falle der Versuchsanlage im Piemont wurden weder von der zivilen, noch der sportlichen oder der militärischen Fliegerei Einwände erhoben. Die Luftwaffe stellte für die Versuche sogar einen Flugplatz zur Verfügung, das stillgelegte Atomkraftwerk Trino (Italien) seine Flugverbotszone. Die Flugverbotszonen hätten in der Schweiz einen vergleichsweise geringen Umfang: Selbst wenn theoretisch der gesamte Energiebedarf (Erdöl, Erdgas Kohle, Uran) mit Zugdrachen gedeckt würde, bedingte dies bei insgesamt 5 Standorten nur eine Flugverbotszone von 300 Quadratkilometern, gleich gross, wie sie für den Schiess-Sektor des Fliegerabwehrplatzes Brigels besteht!

Der Gemeindepräsident von Sommariva Perno, der Bauingenieur Simone Torasso (28), von der Wichtigkeit der Erfindung überzeugt, stellte einen Bauplatz in seiner Gemeinde zur Verfügung und besänftigte die Opposition, die befürchtete, das Seil könnte auf die umliegenden Häuser fallen. Bei einem Seilriss (bei der Versuchsanlage tatsächlich geschehen) fällt das Seil nicht einfach zu Boden, es „gleitet“ auf der Luft und häuft sich direkt vor der Anlage auf.

Der WWF Italien hiess das Projekt gut, ebenfalls die Lipu (Lega Italiana Protezzione Ucelli ), die italienische Vogelschutz-Organisation.

Wirtschaftlichkeit

Zugdrachenanlagen bringen Aufträge für lokale Firmen sowie Arbeitsplätze und Steuereinnahmen für die Standortgemeinden.

Bei der Kite Gen Stem-Anlage rechnet man in der Startphase mit Energiekosten von 0,05 € pro kWh. Ein unschlagbarer Preis, der zudem mit zunehmender Verbreitung dieser Technologie niedriger wird und von steigenden Brennstoffkosten unabhängig ist. Zugdrachen-Anlagen produzieren billige Energie. 

Für das Piemont (und auch für die Schweiz) kann mit 4300 Volllaststunden pro Jahr gerechnet werden. 

Kite Gen Stem ist nur in der allerersten Phase auf Subventionen angewiesen. In Form von Forschungsgeldern. 

Wie weiter?

Auch gute und sinnvolle Erfindungen haben nicht automatisch Erfolg. Es braucht Engagement und Hartnäckigkeit, wenn sich etwas durchsetzen soll. Auch gab es offenbar Versuche, die Patente von Kite Gen aufzukaufen (und zu schubladisieren?). 

Aber die Zeichen stehen gut. Die RAI berichtete ausführlich über das Projekt Sommariva Perno (Piemont) (siehe www.kitegen.com/?page_id=87).

In der Schweiz müsste sich die Politik (National- und Ständeräte) für diese neue Technologie interessieren und ihren Einsatz durch entsprechende Gesetzesänderungen, z.B. beim Raumplanungsgesetz, möglich machen.

Quellen: www.kitegen.com 

Polytechnikum Turin (Lorenzo Fagiano, Mario Milanese, Dario Piga)
Interview mit dem Erfinderteam
Bundesamt für Energie (Energiebedarf Schweiz)

Lenzburg, im Februar 2011
Peter Tschanz  p.tschanz(at)gmx.ch

 *Peter Tschanz ist Werklehrer, Mitbegründer zweier Handwerkerschulen in Bolivien

     
Fotos Hans Meier

Wir haben kein Energieproblem, wir haben ein Egoismusproblem

Warum die Energiezukunft leichter wird, wenn man aufhört, sich gegen sie zu wehren.

Von PAUL DOMINIK HASLER

Wir brauchen wieder einmal ein paar von diesen Kraftwerken, sagen die grossen Stromproduzenten. Gas, Kohle, Kernkraft, oder etwas in der Richtung. Wir brauchen sie, damit wir weiterhin so leben können, wie wir es gewohnt sind. Und gewohnt sind wir diesen eher rücksichtslosen, nicht nachhaltigen und leicht unsozialen Lebensstil. Daran würden wir gerne festhalten.

Kaufen wir keine neuen Kraftwerke, droht angeblich eine so genannte Stromlücke. Wie sie genau aussieht kann zwar keiner sagen, denn gesehen hat eine Stromlücke noch niemand. So, wie auch noch niemand eine Schuhlücke, eine Zuckerlücke oder eine RAM-Lücke gesehen hat. Gerade letztere hätte es geben sollen, als es während Jahren zu wenig Speicherbausteine für Computer gab. Das ist lange her, aber eine Lücke gab es auch damals nicht. Die Bausteine waren einfach teurer.

Das ist wohl auch der Effekt, der ohne neue Kraftwerke zu erwarten ist. Strom gäbe es natürlich trotzdem. Und weil der Strommarkt europaweit zusammenhängt, würden alle mehr dafür bezahlen müssen, nicht nur wir Schweizer.

Wenn nun der Strom gesamthaft teurer würde, sagen wir einmal doppelt so teuer, so wäre das zwar schmerzlich. Aber würde nicht genau das eintreten, was wir seit Unzeiten einfordern? Es würde einen gewissen Effekt auf unseren Verbrauch haben. Wir würden sparsamere Geräte kaufen, über unsere Gewohnheiten nachdenken und unsere Kinder zum Ausknipsen ihrer Apparate ermuntern. Eigentlich ein positiver Effekt.

Aber auch ein zweiter Effekt wäre damit verbunden: Ein etwa doppelter Strompreis würde die Erzeugung von ökologischem Strom ermöglichen. Denn der, so sagen uns die Fachleute mit bedauernder Miene, sei zwar toll, aber zu teuer. Anders gesagt: Wir würden schon längst mehr Sonnenenergie oder Windstrom erzeugen, wenn nur der Strompreis etwas höher wäre. Also eine willkommene Entwicklung.

Wo ist der Haken? Es gibt keinen. Zwar würde die Wirtschaft einmal mehr die Leier von steigenden Produktionskosten, gefährdeten Arbeitsplätzen und Abwanderung ins Ausland drehen, aber von Gehalt ist das alles nicht. Der Kostenanteil des Stroms im gesamten Prozess ist bei fast allen Branchen vernachlässigbar. Sogar der Ölpreis konnte sich ohne solche Effekte verdoppeln, obwohl dieser einen wesentlich höheren Einfluss auf unsere Wirtschaft hat. Und da der Strompreis europaweit recht ähnlich ist, würde eine Verteuerung alle treffen.

Ist es wirklich so einfach? Ich befürchte ja. Unsere endlosen Technologiediskussionen sind eigentlich Preisdiskussionen und ein Kniefall vor dem Gott Egoismus. Wir wollen nicht mehr bezahlen für unsere Energie, weil wir egoistisch und eigensüchtig sind. Den höheren Preis sollen die kommenden Generationen zahlen. Sie, die unseren Atommüll bewachen und unsere Kraftwerksruinen entsorgen müssen. Aber auch sie, die mit dem von uns veränderten Klima grosse globale Probleme meistern müssen. Natürlich gibt das keiner zu. Es ist leichter, über Technik zu diskutieren als über Egoismus. (Aus der Zeitschrift „Zeitpunkt  Nr. 108“)