Radioaktivität und Atomenergie kontradiktorisch

Es gibt Argumente, die für den Einsatz der Atomenergie zur Stromerzeugung sprechen, es gibt aber auch Argumente, die einen Verzicht nahelegen. Die entscheidende Frage lautet: Ist die Produktion von Atomstrom, im Hinblick auf die Risiken, die die Nukleartechnik bietet, und auf die Folgen, die sich daraus ergeben, verantwortbar oder nicht??

Die Frage, ob Atomkraftwerke weiterhin betrieben oder sogar neue gebaut werden sollen, kann nur nach ethischen Gesichtspunkten entschieden werden. Die Antwort hängt damit von der persönlichen Werteskala jedes einzelnen Menschen ab.

 

Vergleich natürliche und künstliche Radioaktivität


Befürworter:
Wer seinen Wohnsitz von Basel nach St. Moritz verlegt, hat wegen der dort herrschenden höheren natürlichen Strahlung eine viel grössere Mehrbelastung an Radioaktivität, als wenn er in der Nähe eines Kernkraftwerks wohnt.

(Die durchschnittliche Jahresbelastung aus natürlichen und künstlichen Quellen beträgt in der Schweiz für eine Person laut Bundesamt für Gesundheit BAG 4 mSv (4 Millisievert), die zusätzliche Belastung für Personen, die in unmittelbarer Nähe eines Atomkraftwerks wohnen, betragen durchschnittlich 0,01 mSv pro Jahr).

Gegner:
Die natürliche Strahlenbelastung lässt sich nur bedingt mit der zusätzlichen Belastung durch die Emissionen eines Atomkraftwerks vergleichen. Die natürliche Radioaktivität bestrahlt den Körper von aussen. Atomkraftwerke geben durch Kamin und Abwasser radioaktive Stoffe ab, die vom Körper aufgenommen werden, sich dort z.B. in den Knochen anreichern und den Körper langfristig von innen bestrahlen. Zudem hat jede Dosiserhöhung eine negative Auswirkung.

 

Strahlengrenzwerte


Befürworter:
Für die Abgabe radioaktiver Stoffe gibt es verbindliche Grenzwerte, die weit unter dem Wert liegen, der für Menschen gefährlich wäre.

Gegner:
Die Festlegung der Grenzwerte ist umstritten. Dass sie zum Beispiel für das AKW-Personal mit 20 mSv/Jahr weit höher liegen als für die Bevölkerung (1 mSv/Jahr) zeigt, dass sie sich nach den Bedürfnissen der Nuklearindustrie richten, d.h. die Grenzwerte sind so gewählt, dass der Betrieb von Atomanlagen möglich ist. Eine garantiert unschädliche Dosis gibt es nicht.

 

Jahresabgabe


Befürworter:
70 Prozent der durchschnittlichen Strahlenbelastung in der Schweiz stammt gemäss Swissnuclear von natürlicher Radioaktivität. Ein Viertel der Belastung kommt aus medizinischen Anwendungen wie Röntgendiagnostik usw. fünf Prozent aus Anwendungen in der Industrie inklusive aus Atomkraftwerken. 

Gegner:
Diese Zahlen werden gerne von der Elektrowirtschaft als Argument verwendet, um die Belastung der Bevölkerung durch Radioaktivität aus Atomkraftwerken zu bagatellisieren. Aber die Zahlen täuschen. Es gibt zwar genau drei verschiedene Arten von ionisierender Strahlung Strahlenarten, aber deren Wirkung hängt von der Art der Strahlenquelle und von der Art der Einwirkung und der Einwirkungsdauer ab. Wenn von der „radioaktiven Belastung der Bevölkerung“ die Rede ist, wie bei den oben genannten Zahlen, bleiben diese Aspekte unberücksichtigt. Dabei spielt es eine entscheidende Rolle, ob es sich um eine Belastung durch kosmische Strahlen oder um eine solche durch innerhalb des Körpers Alphastrahlen aussendende Teilchen handelt.

Emissions-Jahresdurchschnittswerte erfassen ausserdem nicht die tatsächliche Gefährdung, weil die Abgabe in unregelmässigen Schüben erfolgt. Auch sind z.B. Kinder weitaus empfindlicher auf ionisierende Strahlung als Erwachsene.

 

Kontrollmessungen


Befürworter:
Die Strahlung in der Umgebung der Atomkraftwerke wird dauernd überwacht, eine Gefährdung der Bevölkerung konnte nicht festgestellt werden. 

Gegner:
Die Anreicherung in der Nahrungskette und damit in den einzelnen Personen wird durch die Messungen nicht erfasst. Junge Schwalben, die sich von Wasserinsekten unterhalb des Atomkraftwerks Hanford (USA) ernährten, wiesen eine 500’000-fach grössere Radioaktivität auf, als das Flusswasser selber. Zeichnungen, die die naturwissenschaftliche Zeichnerin Cornelia Hesse-Honegger anfertigte, zeigten signifikant höhere Raten an schweren Missbildungen bei Insekten in der Umgebung von Atomkraftwerken.

 

Schäden durch Radioaktivität


Befürworter:
Es ist kein einziger Fall bekannt, in dem irgendjemand in der Nähe eines Atomkraftwerks durch Radioaktivität geschädigt worden wäre. Ein amerikanischer Regierungssprecher sagte  einen Tag nach dem Atomunfall in Harrisburg: „Wir haben niemanden verletzt und wir haben sicherlich niemanden getötet.“

Natürlich hat es im Zusammenhang mit dem Unglück in Tschernobyl Tote gegeben. Wie viele, weiss niemand. Ausserdem gibt es gewisse umstrittene Studien, die eine Auswirkung der Kernkraftwerke auf die Umgebung nachweisen wollen. Ein direkter Zusammenhang zwischen Radioaktivität aus den Kernkraftwerken und Krankheitsfällen in der Bevölkerung ist fraglich, sind doch ausser Radioaktivität auch andere Ursachen denkbar. 

Gegner:
Es ist äusserst schwierig, wenn nicht unmöglich, im Einzelfall einen direkten Zusammenhang zwischen den radioaktiven Emissionen von Atomanlagen und Erkrankungen in der Bevölkerung nachzuweisen. Die Latenzzeit für das Auftreten von Krebserkrankungen kann von einem Jahr bis fünfzig Jahren gehen,  für genetische Schäden kann sie noch länger sein, da Missbildungen oder Stoffwechselkrankheiten oft erst nach Generationen manifest werden. Es gibt eine ganze Reihe von seriösen und aussagekräftigen Studien, die zum Beispiel eine erhöhte Leukämierate bei Kindern nach Atomunfällen belegen.