Atommüll

Das Dilemma mit dem Atomlager Asse II

„Walter Randig nennt es zuweilen „die Sache da draussen“. Er ist 88 Jahre alt, deutet beiläufig zum Küchenfenster. Da draussen liegen sein Garten, der Ort Gross Vahlberg, dahinter Felder und die Asse – ein sanft gewölbter Hügel. Dort, hunderte Meter tief, lagern 125'797 Fässer mit strahlendem Gift, man hat sie in einem Bergwerk entsorgt. Randig ist nur Bitterkeit geblieben, er ist bitter, weil er vor der Katastrophe gewarnt hat und ihn keiner hören wollte. Die Bundesregierung hat den Atommüll hier abladen lassen; etliche ihrer Experten haben die Leute im Dorf glauben lassen, das Salzbergwerk Asse II sei immer trocken gewesen und werde es bleiben. Es war eine Lüge. 

Walter Randig wusste es. Am 9 Juli 1964 erschien sein Leserbrief in der Zeitung. Er warnte, Wasser dringe ein in das alte Bergwerk, man könne dort keineswegs strahlende Abfälle lagern. Im Dorf hielt man ihn für einen Störenfried. Er solle mit seinem Gefasel aufhören, forderten die Bergleute nach dem Tischtennisspielen, sonst riskiere er eine Tracht Prügel. Er sei ja nur der Erdkunde-Lehrer. Die Wissenschaftler hingegen wüssten schon, was sie da machten.

Heute fliessen jeden Tag 12'000 Liter Wasser in das Bergwerk. 

Irgendwann wird der Salzstock Asse II kollabieren, er wird absaufen. Im schlimmsten Fall könnte das Gebirge dann kontaminierte Salzlauge nach oben drücken, hin zum Grundwasser. Randig hat Angst davor, recht zu behalten.

In einer Wanne wird das Wasser aufgefangen. Tanklastwagen transportieren die Lauge ab. Woher das Grundwasser kommt, ist unbekannt. Sicher ist nur, dass es den Stein auswäscht – und den Weg bereitet für das endgültige Absaufen der Grube.

Also wird man die Fässer wohl entfernen müssen. Doch wohin mit dem Müll? Es ist kein Ausweg in Sicht: Wer durch die Dörfer fährt, findet an vielen Häusern ein grosses, gelbes A, es steht für „Aufpassen“. Die Bewohner schauen jetzt ganz genau hin. Lange Zeit war das Thema in den Dörfern tabu, doch im vergangenen Jahr demonstrierten 15'000 Menschen. Auch anderswo will man den Müll nicht haben. In Salzgitter, wo gerade das Endlager Schacht Konrad gebaut wird, das erste ordentliche Endlager auf deutschem Boden, wehren sich die Stadtväter gegen die Fässer aus der Vergangenheit. Günstig wird es so oder so nicht werden. Zwischen zwei und vier Milliarden Euro kostet die Bergung der Fässer, grob geschätzt. Und nur, wenn alles gut geht. 

Es ist ein Dilemma. Walter Randig, der Erdkunde-Lehrer, weiss auch nicht, was ihm lieber ist: Werden die Fässer geborgen, wäre das Problem an der Oberfläche, die Laster mit den Fässern würden vielleicht auch durch sein Dorf fahren. Bleiben sie aber unten, lagert 750 Meter unter der Erde ein Blindgänger. Ob, wann und wie er hochgeht – das weiss keiner so genau. Und denen, die vorgeben es zu wissen, traut keiner mehr.“ (Süddeutsche Zeitung Nr. 66 vom 20./21. März 2010)

Atommüll- und Endlagerproblem

SCHWEIZERISCHE ENERGIESTIFTUNG (SES):

„Die technischen und gesellschaftlichen Herausforderungen an ein Atommülllager sind immens. Viele elementare Unklarheiten wurden im Entsorgungskonzept der Nagra nicht beseitigt. Zwar kann es die absolute Sicherheit nicht geben. Die Nagra muss ein Lager planen, in dem der Atommüll ständig überwacht und notfalls auch zurückgeholt werden kann. Die Verharmlosung von potentiellen Gefahren gegenüber der Öffentlichkeit macht sie unglaubwürdig. 

Ein Atommülllager-Konzept, das ewige Sicherheit verspricht, ist unglaubwürdig. Bevor die geeigneten Standorte gewählt werden und ein partizipatives Schein-Mitspracherecht aufgegleist wird, müssen offene Fragen beantwortet sein und es muss aufgezeigt werden, wie mit der Zeitspanne von einer Million Jahren umgegangen wird. Es braucht genug Zeit für die Lösungen“. 

DIPL.-ING UDO DETTMANN:

„Wir haben Zeit – ein Schnellschuss bringt nichts. Die Zwischenlagerung ist wenigstens kontrollier- und revidierbar. Entscheidend ist, dass wir uns aus der Atomkraft verabschieden und nicht noch mehr Müll produzieren. Und, dass wir uns nicht abkanzeln lassen. Wir haben nicht nur „Bedenken und Ängste“, sondern substanzielle Kritikpunkte und legen den Finger in diese offene Wunde. Durch einen Atom-Ausstieg würde der Weg frei für einen offenen und ehrlichen Weg im Umgang mit dem Atommüll.“(Energie & Umwelt 1/2010)

Castorprotest Gorleben

Jung. Cool. Gegen Atom. Neben den erfahrenen Aktivisten prägt eine neue Generation die Proteste gegen das Atommülllager. Sie sind vor allem eines: vielseitig engagiert.

Von MALTE KREUTZFELDT*

Seit 48 Stunden sitzen viele von ihnen vor dem Zwischenlager. Stroh schützt gegen die harte Straße, Plastikplanen gegen die Regenschauer: Über 1’200 Menschen warten am Sonntagmittag in Gorleben auf den Castor. Vor der Polizei weichen sie nicht.

Widerstand hat es im Wendland immer gegeben, wenn der Castor kommt. Dafür sorgt allein schon das starke Engagement der örtlichen Bevölkerung. Doch in diesem Jahr ist etwas anders: Die Proteste haben nach langer Stagnation erstmals wieder massiven Zulauf. Wer sind diese neuen DemonstrantInnen, woher kommen sie?

Auf den ersten Blick weckt die Blockade viele Assoziationen an die 80er-Jahre. Anti-Atom-Sonnen und Friedenstauben sind zu sehen, bunte Mützen, Wollpullover, Palli-Tücher. Viele der TeilnehmerInnen haben schon Demoerfahrung, die in die Zeiten zurückreicht, als Gorleben Ende der 70er-Jahre als "Nukleares Entsorgungszentrum" festgelegt wurde: Die Generation 50 plus ist so stark vertreten wie in vermutlich keiner anderen sozialen Bewegung. Sie sehen vieles von dem, wofür sie in der Vergangenheit gekämpft haben, bedroht - und gehen darum wieder auf die Straße. Dort treffen sie auf diejenigen, die den Protest vor dem Zwischenlager zahlenmäßig dominieren: Junge Menschen zwischen 15 und 30 haben die Massen-Sitzblockade als ihre Protestform wiederentdeckt - und ins neue Jahrtausend geholt. Die Kommunikation der Teilnehmer läuft nicht nur basisdemokratisch über "Bezugsgruppen" und "SprecherInnenräte". Für die Koordination gibt es Massen-SMS-Verteiler. Bei der Blockade werden die Ansagen aus der Mitte der Aktivsten per Funkmikro in die drumrum stehenden Lautsprecherwagen übertragen; für alle, die nicht dabei sein können, gibt es einen Live-Ticker im Internet. Während unter den OrganisatorInnen der Blockaden viele Aktive mit langjährigen Erfahrungen sind, gibt es unter den Teilnehmer viele, die zum ersten Mal in Gorleben mitmachen. Ohne Protesterfahrung sind sie aber dennoch nicht. Schlüsselerlebnis, so ist bei der Blockade immer wieder zu hören, waren die G-8-Proteste im vergangenen Jahr in Heiligendamm.

Viele, die sich zuvor nur lokal und oft eher theoretisch mit politischen Fragen beschäftigt haben - ob beim BUND, in Uni-Gruppen oder der Grünen Jugend, machten dort ihre ersten Erfahrungen in Sachen Massenprotest. Die großen Camps, die vielen Aktionen, die erfolgreiche Blockade der Zufahrtswege zum Gipfel, haben eine neue Generation für zivilen Ungehorsam gewonnen.

Großer Vorteil dieser Aktionsform ist, dass sie einerseits ein sehr viel deutlicheres Zeichen setzt als eine klassische Demonstration: Man ist bereit, für das politische Ziel Regeln zu brechen und Konsequenzen zu tragen. Zugleich ist das Risiko bei Blockaden auch für weniger Erfahrene überschaubar, und das Bild, das sie vermitteln, ist positiv und friedlich. Denn auch das ist ein Erkennungsmerkmal der neuen Aktionen: Sie arbeiten - im deutlichen Gegensatz etwa zu Autonomen der 80er und 90er - offensiv mit den Medien und bemühen sich aktiv darum, schöne Bilder und klare Botschaften zu vermitteln. Eingesetzt wird diese Strategie nicht nur gegen den Castor. Im vergangenen Jahr gab es ein Protest-Revival auch bei anderen Themen. Besetzungen von Gentechnikfeldern oder öffentlich angekündigte Zerstörung der Pflanzen hatten in diesem Sommer ein unerwartetes Comeback. Und auch beim Klimaschutz greifen AktivistInnen auf die Heiligendamm-Erfahrungen zurück, etwa beim Klimacamp in Hamburg. Auch die Teilnehmerkreise überschneiden sich erheblich. Wer politisch aktiv ist, engagiert sich immer häufiger nicht nur zu einem Thema. Entscheidend sei, so berichten viele der Gorlebener Blockierer, dass einem ein Problem persönlich als relevant erscheine - und die Politik offensichtlich nichts dagegen unternimmt. Und Kristallisationspunkte sind wichtig - also Orte oder Ereignisse, an denen der Konflikt sichtbar wird.

Durch diese Multi-Aktivisten werden viele Protestelemente von einer Aktion zur nächsten übertragen. So wurden etwa die Demo-Clowns, die mit absurdem Theater einerseits Regeln übertreten, andererseits aber auch Konflikte entschärfen können, in Deutschland erstmals in Heiligendamm öffentlich wahrgenommen. Seitdem tauchen sie bei Kohle-Protesten ebenso auf wie beim Castor. Auch Kletterer treten mittlerweile nicht mehr nur bei Greenpeace in Erscheinung, sondern ebenso vor dem Atommülllager. Besonders effektiv wird der Widerstand aber, wenn sich nicht nur die verschiedenen Spektren mischen, sondern wie jetzt wieder im Wendland auch die verschiedenen Altersgruppen, die jeweils ihre eigenen Protesterfahrungen einbringen können. In das Mehr-Generationen-Projekt X.

*Malte Kreutzfeldt ist Journalist und Ressorleiter Wirtschaft und Umwelt bei der taz in Berlin.

Das Wismut-Erbe

Von SUSAN BOOS*

„Mitten im malerischen Erzgebirge, in der ehemaligen DDR, liegt das grösste Uranabbaugebiet Europas: Die Abraumhalden und Gruben der Wismut. Zeitweilig arbeiteten 137'000 Bergleute in den elf Minen, viele von ihnen zwangsverpflichtet. 1967 erreichte die Uranförderung ihren Höhepunkt, man förderte 7'100 Tonnen Uran. Die Halden, auf denen das Gestein lagerte, das man nicht verwerten mochte, enthalten jedoch noch viel Uran. Auf den wild bewachsenen strahlenden Schutthügeln spielten jahrzehntelang Kinder. 1991 begann man, die Anlagen definitiv stillzulegen und sich mit den gigantischen Umweltschäden zu befassen. Grosse Probleme bereiteten vor allem die Absatzbecken, in denen der radioaktive Schlamm aus der Uranaufbereitung lagerte.

Die Minen und Halden sind inzwischen begrünt. Doch die UmweltschützerInnen der Gegend sind sich einig: Da wird nicht etwa Atommüll entsorgt, da werden nur die äusserlich sichtbaren Schäden beseitigt – die Wismut bleibt ein offenes Atommülllager, das noch über Jahrtausende strahlen wird.

Bei mehr als 6'500 Bergleuten hat man inzwischen Lungenkrebs als Berufskrankheit anerkannt, jährlich kommen 200 weitere Fälle hinzu. Auch die Normalbevölkerung ist, laut dem Freiburger Öko-Institut, aufgrund der radioaktiven Belastung durch die Radonemissionen einem um bis zu zehn Prozent erhöhten Krebsrisiko ausgesetzt.“ 

(Aus dem Buch „Strahlende Schweiz“ von Susan Boos, Rotpunktverlag Zürich 1999, S. 240)

*Susan Boos ist Redaktorin der Wochenzeitung WOZ und beschäftigt sich seit Jahren mit Atom- und Energiepolitik

Geisterbahn Gorleben

Trotz massiver Sicherheitsbedenken will die Bundesregierung die Suche nach einem Atom-Endlager weitertreiben – gegen die Proteste der Bevölkerung.

Von WOLFGANG METZNER

Norbert Röttgen, Ressortchef für Atompolitik unter Angela Merkel, will in Gorleben endlich einen Durchbruch schaffen. Der CDU-Mann, der gerne den freundlichen Umwelt-Softie gibt, will eine Lösung eines Problems erzwingen, das weltweit ungelöst ist: Wohin mit hochaktivem Atommüll, der über Tausende von Jahren strahlt? Was die Atomindustrie längst als ihre „Achillesferse“ fürchtet, will Röttgen so schnell wie möglich aus der Welt haben – Schluss mit dem Moratorium, mit dem unter der rot-grünen Regierung vor zehn Jahren die Erkundung des Salzstockes bei Gorleben unterbrochen wurde, um sicherheitstechnische Grundsatzfragen zu klären. In aller Stille lässt Röttgen Fakten schaffen, damit dort so bald als möglich weitergebohrt werden kann.

Natürlich sei alles noch „ergebnisoffen“, heisst es offiziell im Umweltministerium. Doch wer im „Erkundungsbergwerk“ einfährt, mit Helm und Atemschutz gegen schlechtes Wetter gewappnet, sieht schon an den Dimensionen der Schächte, wohin die Reise geht. 

1,5 Milliarden verbaut niemand, der nicht ein bestimmtes Ziel verfolgt. Wenn man unter Tage aus dem Gitterkorb steigt, wirkt alles grosszügig, aufwendig und clean. Bis auf ein schmutziges Stück Rohr, das aus einer hellen Wand ragt.

„RB 012“ steht neben dem angerosteten Metallstück, das so gar nicht in die saubere Welt hier unten passt. Mehr als 100 Meter wurde an dieser Stelle eine Bohrung ins Gestein getrieben. Heraus sickerten, nach und nach, 165'000 Liter salzige Lauge. „Mit Sicherheit nicht alles, was hier drin ist“, sagt der Sprecher des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) Florian Emrich neben der inzwischen mit Zement verschlossenen Stelle. Sein Amt rechnet mit „maximal einigen Tausend Kubikmetern“, andere Fachleute bis zu eine Million – auf jeden Fall fatal für ein Endlager, das in Salz gebaut werden soll. 

Theoretisch ist Salz ein ideales Medium, um abgebrannte Kernelemente von der Biosphäre fernzuhalten. Das plastische Gestein fängt an zu fliessen, wenn es durch den in der Tiefe herrschenden Druck und 200 Grad heissen Atommüll aufgeheizt wird. So umschliesst es die Lagerbehälter wie ein Kokon. Mit einer Schwäche: Salz ist so leicht wasserlöslich, dass Fachleute früher immer ein undurchdringliches, schützendes Deckgebirge über einem als Endlager vorgesehenen Salzstock forderten – eine „hydraulische Barriere“, wasserfest wie eine Folie. Leider, so hat sich inzwischen herausgestellt, gibt es die in Gorleben nicht.

Während das Endlagerkonzept früher vorsah, den strahlenden Müll in dickwandigen, liegenden „Pollux“-Behältern in horizontalen „Strecken“ hintereinander zu lagern, will man jetzt senkrecht in die Tiefe. „Bohrlochlagerung“ lautet plötzlich das Zauberwort der Zukunft: In bis zu 300 Meter tiefen Schächten, von der 840-Meter-Sohle aus gebohrt, sollen die Brennstäbe stehend übereinander gestapelt werden – nur verpackt in Kokillen mit einer 45 Millimeter dünnen Wand.

So würde zum zweiten Mal das „Mehrbarrierensystem“ demontiert, das die Experten vor dem Moratorium für unverzichtbar hielten: Nach dem Verzicht auf die „hydraulische Barriere“, das Deckgebirge, würde auch noch eine „technische Barriere“ geopfert. Statt stark abschirmender „Pollux“-Behälter mit 44 Zentimeter dicken Stahlwänden kämen nur bessere Blechkanister zum Einsatz, die schneller korrodieren.

„Die Wut hier ist riesengross“, sagt Asta von Oppen, Lehrerin, 33 Jahre im Widerstand im Wendland. 

„Dieses Problem ist so gross, dass wir es nur legislatur- und parteiübergreifend lösen können“, sagt sie. Sie hat miterlebt, wie die Politik die dünn besiedelte Region im ehemaligen Zonenrandgebiet zum „Atomklo“ der Bundesrepublik auserkor. Wie die Kernindustrie die Gemeinde Gorleben mit Geldern für Schwimmbad und Freizeitvereine köderte, um sie für ihre Pläne zu gewinnen. Wolfram König, Präsident des BfS – ein „Grüner“, der nun den Weisungen des „schwarzen“ Umweltministeriums folgen muss. Manche in seinem Haus fürchten, dass die Politik gerade dabei ist, das Projekt Gorleben ein zweites Mal gegen die Wand zu fahren, indem man die Bevölkerung überrolle.“ (stern Nr. 32/2010)

Kurt Marti zum Thema Atommüll

Von KURT MARTI*

Ich bin bereit, der Zusicherung Glauben zu schenken, dass alles nur Menschenmögliche vorgekehrt wird, um die Sicherheit von Kernkraftwerken zu gewährleisten und für den Pannenfall Sicherungen einzubauen, die Schlimmstes verhüten können. Ich sag das als Laie, der nicht wissen, der den (nehme ich an) Wissenden nur glauben kann, auch glauben will, weil ich voraussetze, dass sie weder Kriminelle noch Selbstmörder sind, sondern verantwortungsvolle Mitmenschen, die genauso gerne in Frieden und Sicherheit leben möchten und andere leben lassen wollen wie wir alle. Jede Technologie erzeugt  Risiken. Sie müssen, sie können auch eingegangen werden, sofern ihre möglichen Folgen vorhersehbar und deshalb auch einschränkbar bleiben (wie das in den Fabriken, im Verkehr, im Sport usw. der Fall ist).

Tatsache aber ist, dass der radioaktive Müll uns um x Generationen überleben wird. Wer kann für diese nachfolgenden Generationen garantieren, wer kann auch nur voraussehen, wie sich Menschen, Gesellschaften, Probleme, Verhaltensweisen im nächsten Jahrtausend verhalten werden? Wir hinterlassen tabuisierte Betonbehälter mit lebensgefährlichem Inhalt, versenkt, vergraben irgendwo und bürden den Nachfahren die Pflicht auf, sie zu bewachen, zu hüten, zu kontrollieren.

Die alten Ägypter haben uns Pyramiden, die Griechen Tempel, die mittelalterlichen Christen Kathedralen hinterlassen – und unser Vermächtnis an die kommenden Jahrhunderte, Jahrtausende soll also Abfall sein, hochgefährlicher erst noch? Dass wir die Verfluchungen unserer Nachfahren nicht mehr hören werden, ist ein hässlicher Trost. Ein Einzelner, der so perfid handeln würde, müsste zweifellos ins Gefängnis oder ins Irrenhaus gesteckt werden. Auch das ist ein Symptom unserer schizophrenen Verrücktheit: dass wir so verschiedene Massstäbe anlegen, je nachdem, ob es sich um den Einzelnen oder um die Gesellschaft handelt. Wir empören uns über Terroristen und sind gleichzeitig im Begriff, zu Terroristen unserer Nachwelt zu werden – um des momentanen Vorteils zusätzlicher Energiegewinnung willen.

Wie verrückt sind wir? Man kann auch weniger dramatisch und gelassener mit Jesus fragen: ist die Energie für den Menschen da – oder der Mensch für die Energie?

Die Frage ist gestellt. Fatalerweise betrifft sie nicht nur uns selber, sondern auch die nach uns. Dennoch sind wir es, die antworten, die etwas tun oder unterlassen müssen. Ist es schon für den Einzelnen schwierig, etwas zu unterlassen, was er tun könnte, so gilt dies für die Gesellschaft erst recht. Aber: „Ein einziges Megawatt-Kernkraftwerk produziert im Jahr so viel radioaktiven Abfall wie 1000 Hiroshima-Atombomben. Ich kenne aber keine menschlichen Engineering-Errungenschaften, die jahraus, jahrein mit einer solchen Sicherheit funktionieren, dass ihr die Aufgabe der Atommülllagerung übergeben werden könnte. Aus diesem Grunde halte ich die Herstellung von Elektrizität mit Nuklearenergie für den schwersten Irrtum, den die Menschheit je gemacht hat. Wir können es uns nicht leisten, auch nur einen einzigen Fehler zu machen, denn jeder Fehler mit radioaktivem Abfall ist ein Fehler für immer. Es gibt kein Zurück mehr. Es gibt keine Möglichkeit, dieses Zeug zum Verschwinden zu bringen“ (Professor J.W.Gofman am Symposium „Energie, Mensch, Umwelt“ im Gottlieb Duttweiler-Institut, Rüschlikon 1972). (Aus dem Buch „Kurt Marti – Notizen und Details 1964- 2007“, S. 566, Theologischer Verlag Zürich).

*Kurt Marti, Pfarrer und Schriftsteller, hat diesen Text 1975, also noch vor Tschernobyl, für die Zeitschrift „Reformatio“ geschrieben.

Tiefenlager und Ewigkeit

Studie zu Warnhinweisen

dsc. Mit geologischen Modellen lässt sich abschätzen, ob radioaktive Abfälle im Gestein lange gesichert sein können, so dass sie keine gefährliche Strahlung an die Umwelt abgeben. Doch was ist, wenn in ferner Zukunft Menschen Grabungen durchführen und in die Nähe des Lagers gelangen, über dessen Gefährlichkeit sie gar nicht mehr Bescheid wissen? – Bei der Suche nach Möglichkeiten der Überlieferung von Wissen und Warnungen ist man noch weit von Lösungen entfernt. Das Bundesamt für Energie (BfE) hat kürzlich eine Grundlagenstudie dazu publiziert. Man wolle in den nächsten zehn Jahren ein entsprechendes Konzept erarbeiten, so Michael Aebersold vom BfE. Wichtig sei die internationale Zusammenarbeit – nicht nur, um Erkenntnisse auszutauschen, sondern auch weil neben Markierungen vor Ort auch eine global koordinierte Speicherung von Informationen sinnvoll sei, so Aebersold.

Verhältnismässig einfach dürfte es sein, Informationen zu hinterlegen, die einige tausend Jahre lang entziffert werden können. Noch nie stand aber die Menschheit vor der Aufgabe, Wissen mit Blick auf rund eine Million Jahre zu archivieren, wie es das radioaktive Potenzial eines Tiefenlagers erfordert. Studienautor Marcos Buser ist aufgrund der historischen Veränderungen der Bedeutung von Symbolen sehr skeptisch, ob man je ein Piktogramm entwickeln kann, das über so lange Zeit eine so simple Information wie „Gefahr“ transportiert.  Sinnvoller erscheinen subtilere Wege. So könnte die Deponierung unscheinbarer Tonscherben wenig unterhalb der Erdoberfläche signalisieren, dass man es mit einer Zone unspektakulärer menschlicher Hinterlassenschaften zu tun hat – also keine Naturschätze zu erwarten sind. Keinesfalls sollen Stollen oder Aussenanlagen monumental sein und die Neugier wecken. Auch soll es nicht so scheinen, dass die Behälter aus wertvollen Materialien beständen, deren Abbau lohnend wäre. Durch Signale soll bei unseren Nachfahren ein Lernen über das radioaktive Erbe ausgelöst oder zumindest die Lust am Weitergraben unterbunden werden. Marcos Buser nennt auch die Option, Wissen in die Form eines Mythos zu fassen, der Jahrtausende lang tradiert würde. Dazu gelte es, die Mechanismen antiker Überlieferungen zu analysieren.

(Erschienen in der „Neuen Zürcher Zeitung“ am 12.07.2010. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zürcher Zeitung www.nzz.ch)

Wohin bloss mit dem Müll?

Von WOLFGANG METZNER

Zurzeit sind 438 Kernkraftwerksblöcke in 31 Ländern in Betrieb. Obwohl die Atomkraft kommerziell seit über 50 Jahren genutzt wird, existiert bisher weltweit kein einziges Endlager für hoch radioaktiven Müll. Während niedrig strahlende Abfälle in vielen Ländern bereits in oberflächennahen Silos oder Felskavernen verstaut sind, sollen abgebrannte Brennelemente und verglaste „High Active Waste“ in tiefen geologischen Formationen der Erdkruste untergebracht werden. Strittig ist, welches Gestein sich am ehesten dafür eignet, die hochgiftigen und tödlich strahlenden Nuklearstoffe bis zu einer Million Jahren von der Biosphäre zu isolieren.

Weltweit gibt es kein einziges Endlager für hoch radioaktive Abfälle:

  • Finnland ist am weitesten mit dem Bau eines Endlagers. Im Jahr 2020 soll es am Bottnischen Meerbusen 400 bis 700 Meter tief im Granit in Betrieb gehen. Es wird in unmittelbarer Nähe laufender Kernkraftwerke bei dem Ort Eurajoki errichtet, dem weitgehende wirtschaftliche Versprechungen gemacht wurden.
  • Auch Schweden setzt auf kristallines Gestein und hat 2009 den Standort Forsmark für ein Endlager im Granit ausgewählt. Die Bauarbeiten sollen 2012 beginnen, wenn weitere Forschungen abgeschlossen sind.
  • Frankreich favorisiert dagegen Ton und untersucht gegenwärtig eine Tiefenlagerung bei Bure in Lothringen, gut 200 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. 
  • Ganz nahe an der Bundesrepublik könnte ein Schweizer Endlager errichtet werden. In einem transparenten Verfahren mit hoher Bürgerbeteiligung prüfen die Eidgenossen, ob dort bis 2040 eine Lagerstätte gebaut werden soll, ebenfalls im Ton.
  • In den USA war ursprünglich ein Standort im Tuffgestein in Yucca Mountain, Nevada, ausgewählt worden. Doch nach massiven Bedenken der Geologen hat Präsident Obama das Projekt in der Nähe eines früheren Atombombentestgeländes vorläufig gestoppt.
  • In Deutschland entschied man sich früh für die Einlagerung in Salz, obwohl Experten besonders vor dessen Wasserlöslichkeit und vor korrodierenden Behältern warnten. Während der Salzstock von Gorleben noch untersucht wird, stehen im oberirdischen Zwischenlager nebenan bereits 91 Castor-Behälter – nun kommen 11 weitere hinzu. Aus Frankreich muss Deutschland im nächsten Jahr abermals 11 Behälter zurücknehmen, aus dem englischen Sellafield 21. Alle diese Behälter, wie auch die Castoren, die sich in den deutschen Kernkraftwerken befinden, müssen viele Jahre zwischengelagert werden, damit die Wärme abklingt, ehe sie unter der Erde verschwinden können. (stern 46/2010)