Atomenergie
Atomabkommen mit Iran: Die Details des Deals
INFOSPERBER, Andreas Zumach*, Genf / 15. Jul 2015 - Rund 100 Seiten und fünf Anhänge umfasst das Nuklearabkommen mit dem Iran. Die Kernpunkte des Vertrags im Überblick.
Zwölf Jahre haben der Iran, die fünf Vetomächte des Uno-Sicherheitsrats und Deutschland (5+1-Ländergruppe) über das iranische Atomprogramm verhandelt. Am Dienstag konnten sie sich schliesslich auf ein umfassendes Abkommen einigen. Das über 100-seitige Dokument mit fünf Anhängen unterwirft das zivile iranische Nuklearprogramm für eine Laufzeit von 10 bis 25 Jahren sehr weitreichenden Beschränkungen und internationalen Kontrollen. Damit soll eine geheime Entwicklung von Atomwaffen unmöglich gemacht werden. Zugleich sieht das Abkommen vor, die Wirtschaftssanktionen und das Waffenembargo schrittweise aufzuheben, welche die Uno, USA und EU seit 2006 gegen den Iran verhängt haben. Die Umsetzung des Abkommens wird durch eine gemeinsame Kommission aus der 5+1-Gruppe und Iran überwacht und gesteuert.
Das Abkommen soll sicherstellen, dass Iran nicht mehr in der Lage ist, Spaltmaterial für Atomwaffen herzustellen – weder durch die Hochanreicherung von Uran auf 90 Prozent noch durch die Produktion von Plutonium.
Die wichtigsten Punkte des Abkommens:
Die bisher in verschiedenen Nuklearanlagen des Landes installierten 19'100 Zentrifugen zur Urananreicherung, von denen 10'000 derzeit in Betrieb sind, müssen auf 6104 reduziert werden. Es dürfen auch nur noch Zentrifugen der ältesten, am wenigsten leistungsfähigen Generation vom Typ- IR-1 eingesetzt werden. Von den 6104 verbliebenen Zentrifugen dürfen in den ersten zehn Jahren nach Inkrafttreten des endgültigen Abkommens lediglich 5060 zur Urananreicherung betrieben werden – und dies nur noch in der Anlage Natanz. Für 15 Jahre beträgt die Höchstgrenze der Anreicherung 3,67 Prozent. Dieser Wert ist erforderlich zur Herstellung von Brennstäben in Atomkraftwerken. Alle Zentrifugen in der unterirdischen, durch dicke Bunkerwände gegen Luftangriffe geschützten Anlage Fordo müssen abgebaut und beseitigt werden. Fordo darf nur noch zu medizinischen Forschungszwecken genutzt werden. Alle abgebauten Zentrifugen müssen in versiegelten Depots eingelagert werden, die rund um die Uhr durch Kameras und andere technische Mittel sowie durch Inspekteure der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) überwacht werden. Die IAEO kontrolliert 25 Jahre lang sämtliche Uranminen und Fabriken zur Verarbeitung von Natururan. Iran muss seine Bestände von knapp 12'000 Tonnen hoch angereichertem Uran drastisch reduzieren. 97,5 Prozent der Vorräte sollen entweder auf den Grad von 3,75 Prozent verdünnt oder nach Russland exportiert werden. Dort wird das Uran zu Brennstäben für iranische Atomkraftwerke verarbeitet. Im Iran verbleiben noch 300 Kilogramm bereits angereichertes Uran. Die Schwerwasseranlage in Arak wird so umgebaut, dass sie kein Plutonium produzieren kann. Alle hierfür relevanten Teile der bisherigen Anlage werden unter Aufsicht der IAEO verschrottet. Iran darf keine neuen Schwerwasseranlagen bauen. Teheran verpflichtet sich, das bereits vor fünf Jahren unterzeichnete Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag umzusetzen, das den Inspekteuren der IAEO jederzeit unangekündigte Verdachtskontrollen in sämtlichen Nuklearanlagen des Landes erlaubt.
Zusätzliche Kompromisse
All diese Beschränkungen und Kontrollen des iranischen Nuklearprogramms waren bereits in einem Anfang April in Lausanne vereinbarten Eckpunktepapier enthalten. In den seitdem geführten Verhandlungen, insbesondere in den letzten 17 Tagen in Wien, einigten sich die Aussenminister der sieben Verhandlungsstaaten in den noch ungelösten nicht-nuklearen Streitpunkten auf folgende Kompromisse: Die IAEO kann jederzeit Zugang zu konventionellen Militäranlagen wie der Basis Parchin am Kaspischen Meer verlangen, in denen Iran von 1986 bis 2003 möglicherweise atomwaffenrelevante Entwicklungen betrieben hat. Lehnt Teheran das Verlangen der IAEO ab, entscheidet die gemeinsame Überwachungskommission. Zudem verpflichtete sich Iran in einer ebenfalls am Dienstag erzielten Vereinbarung mit der IAEO, bis Ende 2015 alle noch offenen Fragen zu dem mutmasslich zwischen 1986 und 2003 betriebenen militärischen Nuklearprogramm zu beantworten. Das Importembargo für konventionelle Waffen, mit dem der Uno-Sicherheitsrat Teheran 2006 zu Verhandlungen über das Nuklearprogramm zwingen wollte, wird fünf Jahre nach Inkrafttreten des Nuklearabkommens aufgehoben. Nach vorheriger Zustimmung des UN-Sicherheitsrats sind aber in Einzelfällen Waffenlieferungen möglich. Die ebenfalls vom Sicherheitsrat verhängten Restriktionen für die iranische Raketenrüstung laufen nach acht Jahren aus. Von diesen Regelungen unberührt bleiben bilaterale Rüstungssanktionen der USA. Die von der Uno, den USA und der EU seit 2006 verhängten Wirtschaftssanktionen werden schrittweise aufgehoben, sobald die IAEO überprüft und bestätigt hat, dass der Iran seine Verpflichtungen aus dem Abkommen erfüllt hat. Das wird nach Einschätzung aller Experten nicht vor Ende 2015 der Fall sein. Die für die Bevölkerung besonders schmerzhaften Finanz- und Handelssanktionen sollen dann zuerst aufgehoben werden. Die Obama-Administration darf auf Grund eines vom Kongress verabschiedeten Gesetzes ohnehin während der nächsten 60 bis maximal 82 Tage weder bilaterale US-Sanktionen gegen Iran aufheben noch einer Aufhebung im UNO-Sicherheitsrat zustimmen. Die Umsetzung des Nuklearabkommens wird durch eine gemeinsame Kommission aus Vertretern des Iran und der 5+1-Gruppe überwacht und gesteuert.
Sollte der Iran nach einer Aufhebung von Wirtschaftssanktionen und Rüstungsrestriktionen gegen seine vertraglichen Verpflichtungen verstossen, treten die UN-Sanktionen nach 30 Tagen automatisch wieder in Kraft – selbst wenn eines der fünf ständigen Ratsmitglieder sein Veto dagegen einlegen sollte.
*Andreas Zumach ist spezialisiert auf Völkerrecht, Menschenrechtspolitik, Sicherheitspolitik, Rüstungskontrolle und internationale Organisationen. Er arbeitet am europäischen Hauptsitz der Uno in Genf als Korrespondent für Printmedien, wie beispielsweise die tageszeitung (taz), Die Presse (Wien), die WoZ und das St. Galler Tagblatt, sowie für deutschsprachige Radiostationen und das Schweizer Fernsehen SRF. Bekannt wurde Zumach 2003 als Kritiker des dritten Golfkrieges. Im Jahr 2009 wurde ihm der Göttinger Friedenspreis verliehen.
Atomenergie ist eine gefährliche Ablenkung
Kernkraft kann fossile Brennstoffe nicht ersetzen, sagt Jan Beránek*, Leiter der Anti-Atomkraft-Kampagne von Greenpeace: zu schmutzig, zu gefährlich, zu teuer und eine Ablenkung von wirklichen Klimalösungen.
Von JAMES TULLOCH
Greenpeace argumentiert, dass die Kernkraft zum Kampf gegen den Klimawandel nichts beizutragen hat. Warum nicht?
Nur ein kleiner Teil des weltweiten Energiebedarfs kann durch Kernkraft abgedeckt werden und das auch erst nach längerer Zeit: Es dauert 10 bis 15 Jahre, einen Reaktor zu bauen und außerdem ist es sehr teuer.
In ihrer Studie "Energy Technologies Perspective 2008" zeigten die OECD und die Internationale Energieagentur IEA, wie der Energiesektor seinen CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2050 um 80 Prozent senken könnte. Sie gingen von der Annahme aus, dass 1300 neue Kernreaktoren gebaut würden – ein Anstieg auf das Vierfache.
Doch die Kernkraft würde nur sechs Prozent zur CO2-Reduzierung beitragen. Eine Kombination von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien hingegen käme auf 60 Prozent.
Wie kohlenstoffarm ist Kernkraft eigentlich? Befürworter behaupten, die Emissionen machten im Vergleich zu Kohle oder Gas nur zwei bis vier Prozent aus.
Es sind mehr. Benjamin Sovacool von der National University in Singapur hat 103 Veröffentlichungen zum CO2-Fußabdruck von Kernkraft verglichen und kommt zu dem Schluss, dass 66 Gramm CO2 pro Kilowattstunde wohl die verlässlichste Schätzung ist. Das sind immerhin sechs bis zehn Prozent der Emissionen eines Kohlekraftwerks.
Die eigentliche Frage ist aber, wie viel fossile Brennstoffe durch neue Reaktoren ersetzt werden können. Und das bringt uns wieder auf das eingangs erwähnte Szenario von OECD und IEA.
Aber die Erfahrungen zeigen, dass Frankreich und andere Länder mittels Kernkraft ihre Emissionen verringern konnten.
Frankreich hat zwar einen niedrigen Pro-Kopf-Ausstoß, aber der steigt. Frankreich importiert derzeit so viel Öl wie in den frühen 70er Jahren und im Winter importiert es Strom aus anderen europäischen Ländern, weil es selbst nicht genug Kapazitäten hat.
Mit der französischen Kernkraft sind hohe wirtschaftliche und ökologische Kosten verbunden, was schlicht ignoriert wird, weil die Firmen vom Staat finanziert werden.
Ein ungelöstes Problem ist auch der radioaktive Abfall. Er lagert in Behältern, und der schwach radioaktive Flüssigabfall aus der Wiederaufbereitungsanlage in La Hague wird ins Meer gekippt.
Schauen sie sich an, woher Frankreich sein Uran bezieht. Es wird in Ländern mit niedrigen Umwelt- und Gesundheitsvorschriften abgebaut, beispielsweise in Niger oder Kasachstan. Greenpeace fand kürzlich heraus, dass die radioaktive Belastung der Straßen von Akokan in Niger 500-mal über dem normalen Wert liegt.
Kernkraft gehört zu den sichersten Technologien, die wir haben, sagen Befürworter. Es habe nur einen tödlichen Unfall gegeben und Zusammenhänge mit Erkrankungen seien nicht erwiesen.
Nach Tschernobyl gab es in Japan, Schweden und einigen US-amerikanischen Reaktoren viele kleinere Unfälle und Pannen. Es ist einfach Glück, dass aus keinem dieser Unfälle eine Katastrophe wurde.
Die Versicherungswirtschaft hat extreme Probleme damit, Schäden zu versichern, die durch Atomunfälle entstehen. Wenn es keine Risiken gäbe, dann wären die Versicherer nicht so ängstlich.
Es lässt sich nicht zweifelsfrei beweisen, dass jemand durch ein Kernkraftwerk Krebs bekommen hat und gestorben ist. Aber Untersuchungen in Deutschland zeigen, dass es in der Nähe von Kernkraftwerken vermehrt Fälle von Leukämie gibt.
Die Befürworter der Kernkraft behaupten, abgebrannte Brennstoffe seien kein Müll, sondern eine Energiequelle der Zukunft. Der Kernbrennstoff könne und würde wieder recycelt werden.
Was die Atomwirtschaft macht, ist Wiederaufarbeitung. Das geschieht schon seit Jahrzehnten – bevor es Recycling genannt wurde. Weniger als ein Prozent der Kernbrennstoffe werden wiederaufbereitet, demnach sind 99 Prozent Abfall. Ich würde sagen, das kann man nicht Recycling nennen – es ist pure Propaganda.
Außerdem entsteht bei der Wiederaufarbeitung Plutonium. Wenn bei einem Reaktor pro Jahr 20 Tonnen abgebrannte Kernbrennstoffe entstehen, dann entspricht das etwa 200 Kilo Plutonium. Das ist genug Material, um mehrere Dutzend Atomwaffen zu bauen.
Atomwaffen und Atomenergie sind aber verschiedene Themen. Menschen sterben auch durch Autobomben, aber niemand verbietet Autos.
Es gibt da eine Überschneidung. Die Anreicherungs-Technologie, die Endlagerstätten und die Materialien, Uran und Plutonium, werden für Atomkraft und Atomwaffen verwendet.
Das Risiko steigt erheblich, wenn es um viermal so viele Reaktoren weltweit geht - vor allem in Ländern, die keine garantierten Sicherheitsstandards haben wie Saudi-Arabien, Jemen und Weißrussland. Dann werden wir viel über die Nicht-Verbreitung von Kernwaffen diskutieren müssen.
Sie sagen auch, Kernkraft sei nicht wirtschaftlich. Warum?
Die Behauptung, Kernkraft sorge für billigen Strom stimmt mit Blick auf die Reaktoren, die zwischen den 1960er und 1980er Jahren gebaut wurden. Sie entstanden mit staatlichen Mitteln und die Baukosten sind abgeschrieben. Wenn wir über neue Reaktoren sprechen, sieht das anders aus.
Zum Beispiel der neue Reaktor, den Frankreich in Finnland baut: Er sollte drei Milliarden Euro kosten. Inzwischen hat sich der Preis verdoppelt und die Fertigstellung verzögert sich um vier Jahre. Seit 50 Jahren ist es immer das Gleiche: Fast alle Reaktoren kosten zwei- bis dreimal so viel wie versprochen.
Wenn man also auf die gesamte Lebensdauer hochrechnet, wie viel Strom ein neuer Reaktor produziert, würde Atomstrom etwa 10 Cent pro Kilowattstunde kosten. Strom aus Windkraft kostet – ohne Subventionen – 6 bis 7 Cent pro Kilowattstunde.
Der Bau von 1300 neuen Reaktoren würde sechs bis sieben Billionen Dollar kosten. Die Welt sollte dieses Geld lieber in erneuerbare Energien und Energieeffizienz investieren. Das würde die CO2-Emissionen innerhalb von Jahren reduzieren, nicht in Jahrzehnten.
Sind Wind- oder Solarenergie für die Sicherung der Grundlast nicht zu unzuverlässig? Hier bleibt doch wirklich nur die Wahl zwischen fossilen Brennstoffen und Kernkraft.
Diese Ansicht ist veraltet. Dank neuer Netztechnologien können wir mit einer 100-prozentigen Kombination aus Windkraft, Solarenergie und Biomasse eine stabile Stromversorgung sicherstellen.
Bis zum Jahr 2020 könnte ein Drittel des weltweiten Strombedarfs durch Erneuerbare Energien abgedeckt werden, bis 2030 sogar die Hälfte - das besagt die Greenpeace-Studie "Globale Energierevolution", der IEA-Statistiken zugrunde liegen. Die neu installierte Windenergie-Leistung lag 2008 bei 25.000 Megawatt. Die Atomindustrie konnte solche Zahlen zuletzt im Jahr 1993 vorweisen.
Selbst wenn Sie davon ausgehen, dass der Wind jährlich nur in 20 Prozent der Zeit weht, entspricht das immer noch der Stromproduktion von acht großen Kernkraftwerken. Und seit zwei Jahren hat die Atomwirtschaft keinerlei neue Kapazitäten geschaffen.
Gibt es wirklich eine Renaissance der Kernkraft oder gewinnen Sie den Streit?
Offiziell befinden sich weltweit 56 Reaktoren im Bau, auch wenn an einem Drittel der Projekte schon über 20 Jahre gearbeitet wird. In jüngster Zeit werden mehr Reaktoren stillgelegt als neu in Betrieb genommen.
Derzeit bauen nur vier Länder mehr als zwei Reaktoren, allen voran China mit 19 Anlagen, gefolgt von je einem halben Dutzend Anlagen in Indien, Korea und Russland.
Wenn man die OECD-Länder betrachtet, gibt es keine Renaissance der Kernkraft. Trotz aller Versprechungen, neue Reaktoren zu bauen, bewegt sich in den USA seit zwei Jahren nichts, weil die Industrie mehr Geld von der Regierung will.
Es kann schon sein, dass die Umwelt-Propaganda der Industrie jetzt stark ist, aber sowie der Bau einer Anlage beginnt, werden die Öffentlichkeit und die Entscheidungsträger merken, wie groß die Kluft zwischen den Versprechungen und der Realität ist.
*Jan Beránek, Leiter des internationalen Kernkraft-Projekts von Greenpeace:
"Der Bau von 1300 neuen Reaktoren würde sechs bis sieben Billionen Dollar kosten. Die Welt sollte dieses Geld lieber in erneuerbare Energien und Energieeffizienz investieren“
© Allianz 2009
Atomkraft und Nachhaltigkeit
Von PETER WEISH*
Konservative Kräfte nutzen die Diskussion zum Klimawandel, um darauf aufmerksam zu machen, wie umweltschonend die Energiegewinnung aus Atomkraft im Vergleich zur Verbrennung fossiler Energieträger ist. In Deutschland wird dieser Hinweis immer häufiger mit Forderungen verbunden, den bereits beschlossenen Atomausstieg zu verschieben und die Laufzeit von Atomkraftwerken zu verlängern. International wird der Bau von Atomkraftwerken für die Energiegewinnung vorangetrieben. Die so getätigten Investitionen wären im Hinblick auf den Natur- und Klimaschutz wesentlich nützlicher bei den erneuerbaren Energieträgern und der Nutzung der Sonnenenergie aufgehoben, sagen mit Recht die Kritiker. Der mächtigste Gegner des Umweltschutzes ist aber nicht der uneinsichtige Mensch, sondern es ist das Geld, das wir Menschen zum Wirtschaften benutzen. Ihm ordnen wir unser Handeln vor allem unter. Dr. Peter Weish zeigt eindrücklich, dass Atomkraft nachhaltig genannt werden kann: Hinsichtlich Verseuchung und Zerstörung. (Redaktion Humanwirtschaft)
Die “Weltkommission für Umwelt und Entwicklung” definierte 1987 „sustainable development“ als: „development that meets the needs of the present without compromising the abilities of the future generations to meet their owns needs“. “Sustainable development” – zukunftsfähige Entwicklung oder Nachhaltigkeit - ist ein Konzept, das nicht nur einen umfassenden humanökologischen Kontext betrachtet, sondern auch einen weiten Zeithorizont. Bewertung von Technik muss demnach im ökologisch-gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang erfolgen.
Wichtige Kriterien für die Technikbewertung:
Umwelt- und Sozialverträglichkeit
Technik soll eine dienende Rolle spielen. Sie soll nach „Menschenmass“ gestaltet sein (Schumacher) und als Werkzeug dienen, Zwecke zu erfüllen, ohne Selbstzweck zu werden. Technik soll Probleme lösen, möglichst ohne neue Probleme zu schaffen. Sie muss sich vom Verbrauch erschöpflicher energetischer und mineralischer Ressourcen abwenden und auf die umweltverträgliche, nachhaltige Nutzung der Energieströme bzw. nachwachsenden Rohstoffe übergehen.
Überschaubarkeit
Entscheidende Voraussetzung für die verantwortungsvolle Anwendung und Beherrschung einer Technik ist ihre Überschaubarkeit und die Möglichkeit, ihre Folgen abschätzen zu können. Verantwortungsethik (siehe weiter unten) wird dadurch überhaupt erst möglich. E.F.Schumacher hat einmal anlässlich eines Vortrages 1974 in Wien gesagt: “Jeder drittklassige Ingenieur kann eine komplizierte Sache noch komplizierter machen. Ein Ding zu verbessern und dabei zu vereinfachen – dazu gehört ein Hauch Genie.“ Der hohe Komplikationsgrad in unserer Zivilisation schafft viele Probleme und verringert gleichzeitig die Möglichkeiten zu ihrer Lösung. Vereinfachung wäre daher ein wesentliches Fortschrittsziel.
Flexibilität
Technik, als Werkzeug menschlicher Zweckhandlungen, darf nicht zum Selbstzweck entarten und Zwang auf menschliches Handeln ausüben. Anpassungsfähigkeit an geänderte Ziele und Lebensumstände oder auch ein Ausstieg aus einer Technik, wenn sie als Fehlentwicklung erkannt wurde, ist daher ein wichtiges Merkmal verantwortbarer Technik. Die Wirkungen sollten möglichst reversibel sein, der Vergänglichkeit des Menschen angepasst und nicht unwiderruflich in ferne Zukunft reichen. Generationen sollen nicht in ihren Entfaltungsmöglichkeiten behindert werden.
Fehlertoleranz
Menschliches Handeln ist fehlerhaft und menschliches Ermessen lückenhaft. Technik als Werkzeug muss, soll sie menschengerecht sein, diesem Umstand entsprechen und darf Fehler nicht mit Katastrophen beantworten.
Möglichkeiten des Missbrauchs
Zur Beurteilung einer Technik reicht es nicht aus, nur anzunehmen, sie würde stets nach besten Kräften zum allgemeinen Wohl angewendet. Auch Folgen ihres möglichen kriminellen Missbrauchs sind angemessen mit zu bedenken.
Allgemeine Prinzipien des Umweltschutzes:
Im Umweltschutz wurden einige allgemeine Prinzipien aufgestellt. Die wichtigsten sind:
Das Sicherheitsprinzip
Das Sicherheitsprinzip, das verlangt, im Zweifel über mögliche negative Umweltauswirkungen deren obere Grenze anzunehmen. Analog zum Grundsatz „in dubio pro reo (im Zweifel für den Angeklagten)“ der Rechtsprechung, soll der Grundsatz „in dubio pro sekuritate (im Zweifel für die Sicherheit)“ gelten.
Das Vorsorgeprinzip
Das Vorsorgeprinzip besagt, dass der Vermeidung von Schäden Vorrang vor deren meist teuren und unvollständigen nachträglichen Behandlung zukommt. Es baut auf dem Sicherheitsprinzip auf und bezweckt, das Auftreten irreparabler Gesundheits- und Ökosystemschäden von vorneherein auszuschliessen, indem riskante Unternehmungen nicht zugelassen werden.
Das Verursacherprinzip
Das Verursacherprinzip sieht vor – im Sinne der Verantwortungsethik – jeden Verursacher von Gesundheits- und Ökosystemschäden konsequent und im allgemeinsten Sinn zur Verantwortung zu ziehen. Um es wirksamer zu machen, ist schon mehrfach die Umkehrung der Beweislast vorgeschlagen worden, wie sie z.B. in der japanischen Umwelt-Rechtsprechung verwirklicht ist.
Bewertung der Kernenergie
Wendet man die voran genannten Bewertungskriterien auf die Atomenergie an, so zeigt sich, dass diese Technik nicht dem Masse des Menschen entspricht.
Sie ist zu kompliziert, um überschaubar zu sein. Immer wieder treten aufgrund unverstandenen Systemverhaltens Unfälle auf (siehe etwa C.Perrow, 1987: „Normale Katastrophen“)
Sie ist nicht tolerant gegenüber Fehlern. Kleine, für sich gesehen harmlose Fehler können in den hochkomplexen Anlagen, in denen die Abläufe eng gekoppelt sind, katastrophale und unerwartete Konsequenzen nach sich ziehen.
Atomkraft ist unflexibel. Das zeigt in aller Deutlichkeit das deutsche Beispiel. Der demokratisch beschlossene Ausstieg aus der Kernenergie ist schwierig und kompliziert – nicht aus Gründen der Energiesubstitution, sondern wegen der hohen Anlagekosten.
Der Missbrauch hätte beispiellose Folgen. Die lückenlose Kontrolle spaltbaren Materials ist eine schwierige, aber letztlich unlösbare Aufgabe, insbesondere als die IEAE, der diese obliegt, massiv die Ausbreitung der Atomtechnik propagiert.
Zivile und militärische Atomindustrie sind nicht zu trennen. Sie sind siamesische Zwillinge.
Das Verursacherprinzip ist angesichts der zeitlich und räumlich weitreichenden gesundheitsschädigenden Folgen der Strahlenbelastung nicht anwendbar, was bedeutet, dass das Vorsorgeprinzip in Kraft treten muss.
Ökologische Aspekte
Im Zusammenhang mit der Treibhausproblematik wird seit einigen Jahren von einer Neubewertung der Kernenergie gesprochen und diese als Alternative zu fossilen Brennstoffen dargestellt. Eine genauere Betrachtung ( siehe etwa Bill Keepin: „Global Warming“, Oxford, 1990) lässt erkennen, dass eine nennenswerte Substitution von Erdöl mittels Atomenergie unrealistisch ist, selbst wenn man von den Gefahren absehen würde und eine positive Energiebilanz unterstellt. Allein schon aus der Sicht der begrenzten Uranvorräte scheidet die Atomkraft als nennenswerte Energieoption aus.
Siehe www.energywatchgroup.org
Aus humanökologischer Sicht (weiter Zeithorizont der Betrachtung) leben wir derzeit in einer vorübergehenden Episode der zivilisatorischen Entwicklung, deren Merkmal eine hemmungslose Verschwendung erschöpflicher energetischer und mineralischer Ressourcen und Zerstörung biologischer aber auch kultureller Vielfalt ist. Aus dieser Sicht kann „sustainable development“ nur der Übergang zu einer Entwicklung bedeuten, die sorgsam mit den erschöpflichen Ressourcen und rücksichtsvoll, um nicht zu sagen ehrfürchtig, mit allen Formen des Lebens umgeht. Wenn wir uns fragen, wie künftig lebende Menschen auf unsere derzeitige Zivilisation zurückblicken werden, die ihre Ressourcenbasis und Lebensgrundlagen verschwendet und beeinträchtigt hat, so werden sie zweifellos unsere verschwenderische Lebensweise als eine ganz schlimme Fehlentwicklung verstehen.
Kernenergie ist ein Teil einer Fehlentwicklung und keine Alternative
Auch Atomkraft beruht auf Ausbeutung erschöpflicher Ressourcen – es geht nicht nur um Uran. In der Atomindustrie werden viele höchstwertige Materialien und Werkstoffe verwendet, die infolge von Neutronenaktivierung oder Kontamination mit Spaltprodukten radioaktiv und zu gefährlichem Abfall werden, zu dessen Behandlung man weitere Ressourcen benötigt.
Stoffliche Wiederverwertung, ein wichtiges Merkmal zukunftsfähiger Technik, ist bei der Kernindustrie in nennenswertem Umfang ausgeschlossen. Zukunftsfähige Produktion bedeutet darüber hinaus Vermeidung von Abfällen im Allgemeinen und von „giftigen“ Prozessen und Abfällen im Besonderen. Die Atomwirtschaft hat keine Chancen, diesen Kriterien gerecht zu werden. Schon der Uranbergbau – Berufskrankheit der Uranbergleute ist Lungenkrebs – bringt ungeheure Abfallprobleme. Die radioaktiven Abfallerze, die langlebige Radionuklide wie Thorium-230 und Radium-226 (Halbwertszeit 1'600 Jahre) enthalten, wurden und werden grossflächig abgelagert und bedeuten eine radioaktive Verseuchung bis in ferne Zukunft. In diesem Bereich, der am Anfang des so genannten Brennstoffganges steht, zeigt sich damit schon die dramatische ökologische und soziale Unverträglichkeit der Atomkraft. (Siehe z.B. Claus Biegert, Elke Stolhofer (Hg.): „World Uranium Hearing“, Salzburg, München, 1993).
Die Schadenwirkungen der Kerntechnik beginnen somit schon lange, bevor noch eine Kilowattstunde Energie gewonnen wurde.
Gesellschaftliche Aspekte:
Ist Kernenergie „environmentally sound“?
Radioaktive Verseuchung der Umwelt im gesamten Brennstoffgang ist unvermeidliche, geübte Praxis. Die Schädigende Wirkung von Strahlung auf Organismen ist seit den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts erkannt. Es gibt keinen Schwellenwert der Dosis für Spätfolgen wie Krebs, Leukämie und erbliche Gesundheitsschäden.
Der Vorrang der Vorbeugung gegenüber der Therapie
Fortschritte der kurativen Therapie sind zwar beachtlich, doch ist damit eine ungeheure Kostenexplosion des Gesundheitswesens verbunden, die zwangsläufig zu einer Klassenmedizin führt, zu der nur mehr Wohlhabende Zugang haben. Auch innerhalb des Systems findet eine Verlagerung von Pflege zu apparativem Aufwand statt.
Vorausschauende Umwelthygiene, die krankmachende Faktoren im Zivilisationsmilieu identifiziert und konsequent eliminiert, ist auf lange Sicht der bessere Weg in der Gesundheitspolitik, nicht nur aus sozioökonomischer Sicht.
Gefahren- und Katastrophenpotential
Kernenergie, die untrennbar mit einer nachhaltigen radioaktiven Kontamination der Biosphäre verbunden ist, steht einer solchen vorausschauenden Umwelthygiene diametral entgegen und ist daher alles andere, als umwelt- und sozialverträglich oder „environmentally sound“. Atomkraft ist nachhaltig im negativen Sinn. Sie verursacht nachhaltige radioaktive Verseuchung und nachhaltige Gesundheitsschädigung.
Die Diskussion des Gefahrenpotentials von Atomkraftwerken dreht sich zumeist um die Unterschiede der vielen unterschiedlichen Reaktortypen. Darüber lässt sich – bis zur vollständigen Verwirrung des Publikums – trefflich streiten.
Wichtiger als die Unterschiede sind jedoch die Gemeinsamkeiten von Atomkraftwerken:
Es handelt sich um hochkomplexe Anlagen mit enger, unflexibler Kopplung der Abläufe. Keine dieser Anlagen ist daher gegen so genannte Systemunfälle gefeit (siehe Perrow, 1987).
Atomkraftwerk erzeugen und beinhalten ein höchst gefährliches Inventar an radioaktiven Stoffen, dessen Freisetzung katastrophale Folgen hätte.
Die Energiedichte (Energiemenge pro Kilogramm Brennstoff) ist millionenfach grösser als bei konventionellen Brennstoffen, wobei eine Unfall bedingte Energiefreisetzung die Anlage schwer beschädigen und zu einer Freisetzung des tödlichen Strahlungsinventars führen kann.
Diese Gemeinsamkeiten von Atomkraftwerken bedeuten ein nie völlig beherrschbares Katastrophenpotential und lassen es nicht gerechtfertigt erscheinen, von sicheren und unsicheren Kraftwerken zu sprechen. Das Murphy-Gesetz, das besagt: „Was irgendwie schief gehen kann, das geht auch einmal schief“ wurde nicht zuletzt im Bereich der komplexen Kerntechnik empirisch verifiziert.
Wirklich sicher sind nur Anlagen wie das Österreichische Atomkraftwerk Zwentendorf: 1978 fertig gestellt, aber wegen eines Volksentscheids nicht in Betrieb genommen.
Die Atomkraft hat extrem hohe Opportunitätskosten. Was könnte man mit den enormen finanziellen und intellektuellen Ressourcen, die die Atomkraft verschlingt, bzw. blockiert, nicht alles auf dem Weg zur zukunftsfähigen, ressourcen- und naturschonenden und menschengerechten Entwicklung leisten?
Atomkraft ist eine Alternative innerhalb einer Fehlentwicklung, sie beruht auf erschöpflichen Ressourcen. Sie ist ein Musterbeispiel eines Problemmultiplikators, der einen Rattenschwanz neuer Probleme schafft, ohne irgendein wesentliches Problem zu lösen. Sie kann keinen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Viel spricht dafür, dass Atomkraft ein Energiedarlehen ist. D.h. auf längere Sicht mehr Energie erfordert, als sie zu substituieren in der Lage wäre. (Humanwirtschaft 04/2007, www.humane-wirtschaft.de)
*Dr. Peter Weish studierte Biologie, Chemie und Physik an der Universität Wien. Mitarbeiter am Institut für Strahlenschutz im Reaktorzentrum Seibersdorf, Lehrbeauftragter für Humanökologie an der Universität für Bodenkultur in Wien, Mitglied des „Forum für Atomfragen“, einem Beratungsgremium der Österreichischen Bundesregierung.
Der internationale Atom-Filz
“Im Gefüge der Vereinigten Nationen stellt die IAEO eine Ausnahme dar. Keine andere UN-Organisation unterstützt eine Industrie, von der sie zugleich so stark abhängig ist. Deshalb dominieren bei der Entwicklung der Vorschriften zur Überwachung der Atomenergie häufig wirtschaftliche Aspekte, damit die Regeln nicht die Absatzchancen der Reaktorindustrie beeinträchtigen. Entscheidend ist dabei auch, dass nur Staaten mit „fortschrittlichster Atomtechnologie“ Mitglieder im Gouverneursrat werden.
Das begünstigt insbesondere den Atomstaat Frankreich. So ist der französische Atomexperte Denis Flory für die Abteilung für Reaktorsicherheit verantwortlich. Seine Partner aufseiten der Industrie sind ebenfalls Landsleute: An der Spitze des Weltverbandes der Atomkraftwerkbetreiber (WANO) steht Laurent Stricker, der beim französischen Stromkonzern EDF Karriere gemacht hat. Und Andre!-Claude Lacoste, bis vor Kurzem Präsident der ASN in Paris, hat den Vorsitz bei der Western Regular's Association (Wenra), dem Beratungsgremium der westeuropäischen Aufsichts- und Genehmigungsbehörden.
Eisaku Sato, der ehemalige Präfekt der Region Fukushima, hat über eine solche Organisationsform seine eigene Meinung: „Die Förderer der Atomenergie und ihre Kontrolleure sitzen in derselben Behörde. Für mich ist das eine Organisation, bei der Diebe und Polizisten zusammenarbeiten.“ Vermutlich ist das der Grund, weshalb im Juni 2012 Gregory Jaczko, damals Leiter der US-Reaktorsicherheitsbehörde Nuclear Regulatory Commisssion (NRC), auf der Ministerkonferenz der IAEO verkünden konnte, dass kein einziges der 104 US-amerikanischen Atomkraftwerke bei der jüngsten Sicherheitsprüfung durchgefallen sei. Der amerikanische Reaktor Diabolo Canyon, der immerhin auf einer riesigen geologischen Verwerfungszone steht, sei laut Jaczko sogar besonders lobend erwähnt worden.
Anders lässt sich auch nicht verstehen, warum die Stresstests der europäischen Atomkraftwerke von den nationalen Aufsichtsbehörden durchgeführt wurden, die sich in der atomindustrienahen Wenra organisiert haben, und nicht etwa von einem Gremium unabhängiger europäischer Experten. In der Praxis werden die Sicherheitsregeln nach Bedarf gestrickt, in einem Zirkel der Selbstbestätigung, um dann von der IAEO abgesegnet zu werden.
Die allgemeine Devise, durchgehalten von Tschernobyl bis Fukushima, lautet schlicht: Die Katastrophen werden auf die besondere Situation im jeweiligen Land zurückgeführt und die strukturellen Probleme, die darin sichtbar werden, unter den Teppich gekehrt. Tschernobyl 1986 konnte sich demnach nur im Ostblock ereignen, und Fukushima hatte einfach das Pech, 2011 einem Tsunami im Weg zu stehen.“ (LE MONDE diplomatique, Dezember 2012)
Der Iran und die Atomfrage
„Der Iran hat am 18. November 2011 sein erstes ziviles Atomkraftwerk eingeweiht, nachdem der 1975 begonnene Bau eines Reaktors in Buscheher durch den Krieg mit dem Irak (1980 – 1988) unterbrochen worden war. 1995 nahm die russische Atomindustriebehörde Rosatom die Zusammenarbeit mit dem Iran wieder auf: Zwischen den beiden Staaten wurde unter Aufsicht der IAEO ein bilaterales Abkommen ausgehandelt.
In einer Pressemitteilung vom 22. Februar 2012 äusserte sich der IAEO-Generaldirektor Yukiya Amano „enttäuscht“ darüber, dass der Iran den IAEO-Kontrolleuren den Zugang zur Militäranlage Parchin verwehrt hatte. Diese neue Linie liefert der Medienoffensive gegen das iranische Regime und sein Atomprogramm frische Nahrung.“ (Agnès Sinai, LE MONDE diplomatique, Dezember 2012)
Cyber-Angriff auf iranische Atomanlage: „Die ersten Berichte über eine Cyberattacke auf das iranische Atomprogramm durch den Computerschädling Stuxnet lesen sich wie ein Kapitel aus einem modernen Spionageroman. Ein raffiniert programmierter Computerwurm soll ausgerechnet in dem Land, das von den USA als Schurkenstaat eingeschätzt wird, eine umstrittene Atomanlage lahmlegen. Stuxnet ist aber keine Fiktion, sondern Realität. Sicherheitsexperten wissen bereits seit über einem Jahr um die Schwachstellen; wie Steuerungszentralen von grossen Industrieanlagen und Kraftwerken ausser Gefecht gesetzt werden können. „Der Cyberspace wird mittlerweile als fünftes militärisches Schlachtfeld neben dem Boden, der Luft, dem Wasser und dem Weltraum gesehen“, erklärt der Buchautor Arne Schönbohm in der Zeitschrift WirtschaftsWoche.“ (Basler Zeitung, 27. September 2010)
Die Brüterpleite
Von SUSAN BOOS*
Siebzig Kilometer westlich von Genf beginnt man 1975 in Creys-Malville mit dem Bau des Schnellen Brüters Superphénix. Das französische Atomenergiekommissariat prophezeit, bis zur Jahrtausendwende würden weltweit 540 Schnelle Brüter in Betrieb sein. Die Bevölkerung wehrte sich gegen die neue Technologie, weil schon damals bekannt ist, dass kein Reaktortyp so gefährlich ist wie der Brüter: Im Reaktorinnern befinden sich fünf Tonnen Plutoniumbrennelemente, umgeben von rund 5'000 Tonnen Natrium. Das Natrium hat die Eigenschaft, mit Sauerstoff zu reagieren – kommt es mit Luft in Berührung, explodiert und brennt es.
Auf dem Baugelände finden immer wieder Grossdemonstrationen statt. Am 31. Juli 1977 versammeln sich 80'000 Menschen, um gegen den Superphénix zu protestieren. Die Polizei reagiert mit Gewalt: Ein Demonstrant stirbt, Hunderte werden verletzt.
Nach zehnjähriger Bauzeit geht der Superphénix erstmals in Betrieb. Doch er funktioniert nie richtig, immer wieder kommt es zu Notabschaltungen, mehrmals treten Natriumlecks auf. Im Winter 1990 stürzt zudem das Dach des Maschinenraums unter der Last des Schnees ein.
1994 gibt die Regierung bekannt, man wolle den Superphénix nicht mehr als Kraftwerk, sondern als Forschungsreaktor zur Verbrennung von langlebigen radioaktiven Abfällen betreiben. Im Sommer 1996 fährt man ihn nochmals an, muss ihn aber schon wenige Tage später wieder abstellen. Endlich, am 2. Februar 1998, gibt die französische Regierung bekannt, dass der Brüter definitiv stillgelegt wird. In seinen 13 Betriebsjahren hatte er während insgesamt eines halben Jahres normal Strom produziert. Das Abenteuer kostete jedoch etwa 60 Milliarden Francs (15 Milliarden Franken).
Der Superphénix war der einzige, jemals fertig gestellte Brutreaktor der anvisierten industriellen Grössenordnung von 1'200 Megawatt. Deutschland verramschte seinen Brüter in Kalkar schon 1995 – bevor der fast zehn Milliarden DM teure Bau je in Betrieb ging. Inzwischen hat ein Holländer darin einen Freizeitpark eingerichtet. (Aus dem Buch „Strahlende Schweiz“ von Susan Boos, Rotpunktverlag Zürich 1999, S. 274)
*Susan Boos ist Redaktorin der Wochenzeitung WOZ und beschäftigt sich seit Jahren mit Atom- und Energiepolitik
Kaiseraugst - gelebte Demokratie
Von HANS SCHNEIDER*
„Während bald zehn Jahren versuchten die Atomkraftwerkgegner der Region Basel die Bevölkerung über die Problematik der Atomkraftwerke aufzuklären. Es war ein unbeschreiblicher Einsatz der anfänglich geringen Zahl von Aktiven notwendig, um der verfänglichen Propagandaflut der finanzstarken Atomkraftwerkpromotoren nicht zu erliegen. Leider hat die Bundesverwaltung bisher die Atomkraftwerke uneingeschränkt befürwortet. Die immer wieder vorgebrachten Forderungen der betroffenen Bevölkerung nach sorgfältiger Abklärung wurden bagatellisiert, oberflächlich beantwortet oder übergangen.
Man ist sich noch zu sehr gewohnt, zuerst einen Beschluss zu fassen, in unserem Falle den Beschluss Atomkraftwerke zu bauen, und hinterher mit allen Mitteln zu versuchen, diesen Beschluss zur Ausführung zu bringen. Es wird Propaganda gemacht und Abklärungen dienen als Alibi.
In diesem Zusammenhang sind Menschen, die unbequeme Anliegen vorbringen ein Hindernis, das man über- oder umgehen muss. Hier entsteht der Konflikt in der angewandten Demokratie. Die Demokratie erlaubt keine von Interessengruppen vorgeplanten Entscheide, wenn diese die Volksgemeinschaft und ihre Umwelt tangieren. Wenn das Volk die Marschrichtung bestimmen soll, dann muss es objektiv und vollumfänglich informiert werden und nicht einseitiger, von Interessen gefärbter Propaganda ausgesetzt sein.“
*Hans Schneider war Leiter der Verhandlungsdelegation der Atomkraftwerkgegner mit dem Bundesrat im Anschluss an die Geländebesetzung in Kaiseraugst 1975)
Kaiseraugst - Strahlende Träume
Die Geschichte des AKW-Projektes Kaiseraugst
Von CHRISTA DETTWILER*
Als die Motor-Columbus die Bevölkerung von Kaiseraugst am 22. März 1966 ins Hotel Löwen lud, um ihre atomaren Pläne fürs Dorf vorzustellen, waren die Leute erfreut. Einzelne kritische Stimmen wurden überhört. Versuche, Widerstand zu mobilisieren, scheiterten.
Es war ein weiter Weg zum Extrablatt der Basler Zeitung am 2. März 1988, das das „Aus für Kaiseraugst“ verkündete. Der Widerstand formierte sich vorerst in Basel - und zwar wegen der Gefährdung der Gewässer. Der bedenkliche Zustand der Schweizer Flüsse war damals ein grosses Thema. Als ein amtlicher Expertenbericht vor schädlichen Auswirkungen der für das AKW Kaiseraugst geplanten Flusskühlung warnte, geriet die Region in Aufruhr.
Als die Motor-Columbus bei der Aargauer Regierung eine Konzession zur Kühlwasserentnahme aus dem Rhein beantragte, trat im Mai 1970 das „Nordwestschweizer Aktionskomitee gegen das Atomkraftwerk Kaiseraugst“ NAK (ab 1974 Nordwestschweizer Aktionskomitee gegen Atomkraftwerke NWA, heute Verein Nie wieder Atomkraftwerke NWA) auf den Plan.
Im März 1971 verbot der Bundesrat die Flusskühlung für noch nicht im Bau befindliche AKW. Für Kaiseraugst hiess das Kühltürme. Das wiederum weckte nun auch Widerstand bei Natur- und Landschaftsschützern. Die „Grenzen des Wachstums“ wurden nun sichtbar, die Euphorie über eine „billige und unerschöpfliche“ Energiequelle wich der Ernüchterung, der Angst und dem Bewusstsein der Hypothek, die die strahlenden Abfälle für künftige Generationen bedeuteten.
Bühne frei für die GAK: Übungen in Gewaltfreiheit
Im Sommer 1973 hatte das Bundesgericht in letzter Instanz sämtliche Beschwerden gegen das AKW Kaiseraugst abgewiesen und entschieden, dass Gemeinden bei der Standortfrage kein Mitspracherecht haben. Der Bau von Kaiseraugst war auf dem Rechtsweg nicht mehr zu verhindern.
Im November 1973 betritt die Gewaltfreie Aktion Kaiseraugst (GAK) die Bühne des Geschehens. Ihre Anliegen: Mehr Basisdemokratie, gewaltfreier Widerstand und eine gerechtere, ökologischere Gesellschaft. Ihr Ziel: Baustop in Kaiseraugst bis in der betroffenen Region ein demokratischer Entscheid vorliegt. Dabei setzten sie auf gewaltfreien Widerstand.
Grundsatzerklärung GAK
Immer mehr grundsätzliche Entscheide, welche unser Zusammenleben in der Gesellschaft betreffen, werden durch Interessengruppen gefällt, ohne dass die Bevölkerung angehört wird. Dieser Zustand ist unhaltbar. In Sorge um eine derartige Entwicklung, die der echten Demokratie zuwiderläuft, haben sich «Gewaltfreie Organisationen» gebildet. […] Für folgende Ziele setzen wir uns mit aller Kraft ein:
- Baustopp des Atomkraftwerkes Kaiseraugst, bis in der Region ein demokratischer Entscheid der betroffenen Bevölkerung vorliegt.
- Gesamtenergiekonzeption unter Berücksichtigung der ökologischen Grenzwerte unseres Lebensraumes.
- Einschränkung der Energieverschwendung und Entwicklung anderer Energieformen.
- Alternativen zum exponentiellen Wirtschaftswachstum.
Der Kampf beginnt
1973 Die GAK gewinnt in der Region Basel an Rückhalt. In einer «von-Dorf-zu-Dorf-Kampagne» sammelt sie Aktivisten und macht die Öffentlichkeit durch unkonventionelle Aktionen auf sich aufmerksam. Bereits im Dezember 1973 macht die GAK mit einem „Probe Hock“ auf dem Baugelände in Kaiseraugst von sich reden. Rund 400 Personen aus der Region beteiligen sich an der Aktion, die in der ganzen Schweiz mediale Beachtung findet.
1974 zahlreiche Aktionen gegen das AKW Kaiseraugst . Mit der Organisation eines Ostermarsches stellte sich die GAK in die Tradition der Anti-Atomwaffen-Bewegung. Mitte Juni gibt’s einen Volksmarsch zum Baugelände von Kaiseraugst. Im Herbst folgen rund 6000 Menschen dem Aufruf der GAK zur ersten Vollversammlung auf dem Baugelände.
In der Stadt Basel stimmt die Bevölkerung sehr deutlich gegen die Beteiligung der Stadt am AKW Gösgen. Die GAK sammelt Unterschriften für eine Petition an die Parlamente aller Nordwestschweizer Kantone für eine Volksabstimmung über das geplante AKW Kaiseraugst in den betroffenen Bezirken.
Zum ersten Mal wird auch das Instrument der Initiative für die Ziele der AKW-Gegner eingesetzt.
1975 Ende März wird in Kaiseraugst mit den Aushubarbeiten für das AKW begonnen. Am 1. April 1975 besetzen unter Federführung der GAK rund 500 Personen das Baugelände. Am 6. April folgen 15'000 Menschen dem Aufruf zur Grosskundgebung, mehr als 170 Parteien und Verbände bekunden ihre Solidarität mit den Besetzern. Verlangt werden der sofortige Baustopp für das AKW Kaiseraugst sowie Gespräche mit dem Bundesrat.
Nicht alle sind begeistert: Man sieht die Rechtsordnung gefährdet, verlangt eine zwangsweise Räumung des Geländes durch interkantonale Polizeieinheiten, ja sogar den Einsatz des Militärs. Behörden und Motor Columbus wollen jedoch eine Konfrontation vermeiden und suchen den Dialog. So wurde die Besetzung am 14. Juni 1975 nach fast zweieinhalb Monaten ohne Gewalteinsatz und freiwillig abgebrochen. Der Bundesrat hatte den AKW-Gegnern Gespräche angeboten und den sofortigen Baustopp versprochen. Dieses Angebot wurde an der Vollversammlung, dem obersten Organ der Besetzer am 7. Juni 1975 angenommen – gegen den Willen der radikalen Linken.
Die Bauplatzbesetzung in Kaiseraugst im Frühling 1975 war der (erste) Höhepunkt der schweizerischen Anti-AKW-Bewegung. Durch das bemerkenswerte Zusammenspannen unterschiedlichster Kräfte wurde eine erfolgreiche direkte Aktion möglich.
Die Besetzung hatte verschiedene, teils widersprüchliche Auswirkungen auf die weitere Entwicklung der Anti-AKW-Bewegung in der Schweiz. Auf der einen Seite wurde die heterogene Bewegung durch die Aktion vorläufig geeint: an der Besetzung beteiligten sich rund 40 Bürgerinitiativen und zahlreiche Gewaltfreie Aktionen, ein für die Schweiz einmaliges Experiment.
Die Wirkungen der Aktion gingen weit über die Grenzen der Region Kaiseraugst hinaus. Sie sensibilisierte die Bevölkerung für die Problematik der Kernenergie, was immer weitere AKW- Gegner mobilisierte. Der Widerstand beschränkte sich nicht länger auf die Region Kaiseraugst, sondern breitete sich in anderen Teilen des Landes aus. Überall in der Schweiz kam es zur Bildung von Unterstützungskomitees für die Besetzer. Zudem wurden in den Standortregionen weiterer geplanter AKWs neue Gewaltfreie Aktionen gegründet. Durch die direkte Aktion in Kaiseraugst wurde aus dem lokalen Widerstand eine nationale Bewegung.
(Quellen: Patrick Kupper, Umweltbewegung und Anti-AKW-Bewegung in der Schweiz, Renato Steck, David Kiefer, Uni Bern)
*Christa Dettwiler ist freie Journalistin und Buchautorin
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Gewaltfreie Aktion Kaiseraugst (GAK)
Kaiseraugst – gelebte Demokratie
Uranabbau in Krasnokamensk (Sibirien)
Von SUSAN BOOS*
„Die grösste Uranmine Russlands – laut deren Direktor sogar die grösste der Welt – liegt in Krasnokamensk in Sibirien. Seit Anfang der Sechzigerjahre baut man dort Uran ab, das anfänglich vor allem für Rüstungszwecke verwendet wurde. Heute wird alles gewonnene Material ins Ausland verkauft und stellt eine der grössten Einnahmequellen Sibiriens dar.
In Krasnokamensk sind drei Untertagminen sowie eine Tagebaumine in Betrieb, die fünfhundert Meter tief ist und einen Durchmesser von einem Kilometer hat. Die Minen sind umgeben von Abraumhalden, Uranmühlen und Absetzbecken, die eine Fläche von zirka sieben Quadratkilometer bedecken. Dazwischen stehen die Häuser der 70'000 KrasnokamenskerInnen. In einigen der Häuser beträgt der Radongehalt 28’000 Becquerel pro Kubikmeter – in der Schweiz gilt für Neubauten ein Radongrenzwert von 400 Bq. Die Häuser müssten saniert werden, doch fehlt dazu das Geld.
Seit Krasnokamensk nicht mehr unter strikter militärischer Kontrolle steht, kommen erste Ergebnisse über den Gesundheitszustand von ArbeiterInnen und Bevölkerung an die Öffentlichkeit: 1989 waren 79 Prozent der Männer, die in der Region starben, noch nicht 6o Jahre alt – Haupttodesursache: Krebs. Die Anzahl Kinder, die mit unterentwickelten Gliedmassen zur Welt kamen ist um das Vierfache höher als bei Säuglingen in Irkutsk; bei 51 Prozent der Schwangerschaften weisen die Föten Entwicklungsstörungen auf; die Krankheitsrate unter den Krasnokamensker Kindern ist um zehn bis zwanzig Prozent höher als bei Kindern in anderen russischen Städten, die ebenfalls unter widrigen Umweltbedingungen aufwachsen. Niemand trägt eine Schutzmaske oder Schutzkleidung. Die Arbeiter, die an Orten arbeiten, wo sie erhöhter Strahlung ausgesetzt sind, werden zwar jährlich einem Gesundheitstest unterzogen, das Ergebnis erfahren sie aber nie.
Ähnliche Geschichten liessen sich über die Uranminen in Kanada, Australien, Gabun oder Usbekistan anführen. Allen diesem Minen ist gemeinsam: Sie richten gewaltige, irreversible Umweltschäden an. Die Grubenarbeiter sind extremen Gesundheitsrisiken ausgesetzt, ein hoher Prozentsatz leidet unter Atemwegserkrankungen und Tumoren, insbesondere an Lungenkrebs. Dasselbe gilt für die Bevölkerung, die in der Nähe der Minen leben muss.
Man hat es schon als „Laune der Natur“ bezeichnet, dass siebzig Prozent der Uranminen auf den Territorien indigener Völker liegen.
(Aus dem Buch „Strahlende Schweiz“ von Susan Boos, Rotpunktverlag Zürich 1999, Seite 256)
*Susan Boos ist Redaktorin der Wochenzeitung WOZ und beschäftigt sich seit Jahren mit Atom- und Energiepolitik
Gesundheitliche Folgen des Uranabbaus
Bericht an den Umweltausschuss der Bundesärztekammer Berlin, September 2010:
Von GÜNTER BAITSCH*
1999 war ich vier Wochen in der Republik Niger (Zentralsahara). Dort habe ich, neben einer phantastischen Wüstenlandschaft, Menschen kennengelernt, die nach jahrelangem Bürgerkrieg wieder Hoffnung hatten: Der Tourismus begann sich als Einnahmequelle zu etablieren, ich erlebte äusserst bescheidene und trotz extremer Armut fröhliche und arbeitsame Menschen. Niger ist laut WHO das zweitärmste Land der Welt, an Rohstoffen aber eines der reichsten.
Als ehemalige Kolonialmacht hatte Frankreich lange Zeit das alleinige Schürfrecht für Uran. Zum damaligen Zeitpunkt (1999) wurden Schürfrechte ausserdem an Australien, China und Kanada vergeben. Den Tuaregs wurde das Land, mit Gewalt weggenommen. Land, das sie als Weidegründe für ihre Kamele und Ziegen brauchten. In den betroffenen Oasen wurden die Menschen und deren Tiere umgebracht. Das war Bürgerkrieg: Regierung gegen die Tuareg. Frankreich unterstützte die Tuareg-Rebellen mit Waffen, da es die alleinige Kontrolle über das Uran behalten wollte. Seit einem Jahr ist nun auch Al Quaida am Werk und bringt den Tuaregs bei, wie man Geiseln nimmt und Geld erpresst. Unser Energiehunger führt in einem fernen Land zu grossen Zerstörungen. Unzählige Menschen verhungern oder werden in Auseinandersetzungen getötet.
Die Worte von Michael Beleites, des Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen in Sachsen, überzeugen mich: "Mir ist es wichtig, dass der Uranbergbau nicht nur als ein Teil, sondern als der entscheidende Teil der nuklearen Brennstoffkette begriffen wird. Und: Wenn man den Uranbergbau heute in Deutschland im grossen Massstab nicht durchsetzen kann, dann sollten wir so anständig sein und das auch andern nicht zumuten. Wir müssen dafür offenbar noch ethische Massstäbe entwickeln und diese in die Politik einführen. Wir dürfen für unseren Wohlstand nicht Rohstoffe beanspruchen, die anderswo zu Bedingungen produziert werden, die bei uns nicht erlaubt sind, weil sie die Umwelt verseuchen".
Abbau und Verarbeitung des Urans
Uran wird in 25 bis 30 Länder abgebaut, meist im Tagebau. Bis zu 80 % der Urangruben liegen auf dem Land von indigenen Völkern. Der Abbau erfolgt meist durch Gesellschaften mit Sitz in den USA, in England, Frankreich oder Australien. Uranerz (so genannte Pechblende) enthält nur kleinste Mengen an Uran und wird vor Ort mechanisch zerkleinert. Es folgen komplizierte physikalische und chemische Prozesse, zunächst mit organischen Lösungsmitteln, dann mit verdünnter Schwefelsäure und schliesslich mit Laugen. So erhält man den so genannten" Yellow Cake". In dieser Form wird das Uran über die Börsen auf dem Weltmarkt angeboten. Daher ist schwer nachweisbar, woher das Uran, das in einem AKW eingesetzt wird, wirklich stammt.
Im Yellow Cake ist der Anteil an Uran sehr tief. Nach weiteren Extraktionsverfahren erhält man im Wesentlichen eine Mischung der Uran-Isotope U-238 und des spaltbaren Urans U-235. Natururan enthält nur 0,7 % Uran-235. Für den Einsatz in Kernkraftwerken muss der Gehalt auf 2 bis 5 % erhöht werden. So angereichert entsteht das „leicht angereicherte Uran“ (LEU- Lightly Enriched Uranium). Eine Anreicherung auf 60 %, meist aber 85 % ergibt waffenfähiges Material (HEU - Highly Enriched Uranium).
Als Nebenprodukt der Anreicherung entsteht so abgereichertes Uran (DU = Depleted Uranium), im Wesentlichen Uran-238. Auch dieses ist radioaktiv und wird für panzerbrechende Geschosse eingesetzt.
Für den primären Reinigungsprozess der abgebauten Pechblende braucht es riesige Mengen an Wasser, das aus den Trinkwasserreserven der lokalen Bevölkerung stammten. Die Abwässer werden zum Teil in kilometerlangen und breiten Becken gelagert. Die festen Abfälle landen auf offenen Abraumhalden. Diese Abwasser- und Abraumlager werden " Tailings" genannt. Die Tailings enthalten 80% des radioaktiven Inventars des ursprünglich abgebauten Materials. Sie trocknen aus, der nächste Sturm nimmt den kontaminierten Sand über 100 km und mehr mit. Die Abwasserbecken überlaufen beim nächsten Monsun-Regen und überschwemmen das noch verbliebene Ackerland (wie in Nord-Ost Indien). Undichte Tailings kontaminieren das Grundwasser und die Flüsse über viele hunderte von Kilometern, Insekten, Wild, Nutztiere und Pflanzen werden belastet. Das Trinkwasser in Arlit (Niger) hat eine 7 bis 110-fach höhere Belastung, als der WHO-Grenzwert erlaubt.
Die physikalischen Eigenschaften von Uran
Uranatome haben eine Halbwertszeit von 4,5 Milliarden Jahren (Uran-238) bzw. 700 Millionen Jahre (Uran-235). Die Halbwertszeiten der Zerfallsprodukte variieren zwischen Millisekunden und 250‘000 Jahren. Das stabile Blei Pb-206 bildet das Ende der Zerfallsreihe. Unter den Zerfallsprodukten scheint das Radongas, ein Alpha- Strahler, nach heutigem Wissen, die meisten gesundheitlichen Probleme zu machen. Es wird durch die Atmung in den Körper aufgenommen. Die krank machende Wirkung geht dabei von den Radon- Zerfallsprodukten aus. Unter anderem von zwei Wismut-Isotopen, beide Beta-Strahler, sowie Polonium, einem Alpha-Strahler. Radon selbst hat eine kurze Halbwertszeit von 3,8 Tagen, seine Zerfallsprodukte teilweise aber eine sehr lange.
Uran ist ein radioaktives Schwermetall, in seiner Giftigkeit dem Quecksilber, Blei oder Cadmium ähnlich. In den Körper aufgenommenes Uran wird zu 98 Prozent über Urin und den Darm ausgeschieden, der Rest wird in der Leber und in der Niere gespeichert.
Strahlenwirkung im menschlichen Organismus
Die Alpha- und teilweise auch die Beta-Strahlen sind in der Lage, Elektronen aus den Atomen und Molekülen herauszuschlagen. Sie beschädigen dadurch Zellstrukturen wie Mitochondrien, Enzyme und die DNA. Die DNA wird zwar normalerweise in der Zelle repariert, aber die Reparatursysteme können überfordert werden, was zu Genominstabilität führt. Werden Doppelstrangbrüche unvollständig repariert, können sie Krankheiten induzieren, was auch bei Einzelstrangbrüchen geschehen kann. Daraus entstehen Karzinome, teratogene Effekte, geistige Retardierung, Geburtsschäden, chromosomale Anomalien und Erbkrankheiten. Neuerdings werden auch Enzymschäden, insbesondere durch Pankreasschäden diskutiert, sowie Immunschwächen und frühzeitiges Altern.
Beta-Strahlen haben nur eine kurze Reichweite, sie können aber die Zellen am Ort des Zerfalls nachhaltig schädigen. Gamma- Strahlen sollen intrazellulär eine Kettenreaktion auslösen (Hypothesen, die derzeit untersucht werden)
Die Verursachung der folgenden Krankheiten kann als gesichert angesehen werden:
Lungensilikose und das Lungen- und Bronchialkarzinom bei Bergwerksarbeitern. In der stillgelegten Wismut-Zeche (ehemals DDR) waren bis 1999 insgesamt 7’200 Fälle als Berufskrankheit anerkannt, für die folgenden Jahren werden weitere 7000 Fälle erwartet. Gegenwärtig werden jährlich 200 neue Fälle registriert. Auch Karzinome im Nasen-Rachenbereich wurden in der Wismut-Zeche eindeutig vermehrt festgestellt.
Bei den Navajo-Indianern, die übrigens Nichtraucher sind, ist bei Bergwerkarbeitern in den Uran-Abbaugebieten das Lungenkarzinom 28-mal häufiger als in der übrigen Bevölkerung.
Die Verursachung der folgenden Krankheiten kann als wahrscheinlich angesehen werden, ist aber statistisch noch nicht ausreichend abgesichert:
- Niereninsuffizienz und Nierenkarzinome wird identisch aus allen Uranabbaugebieten gemeldet, nicht nur bei Arbeitern, sondern auch aus der Bevölkerung. (Die Niereninsuffizienz ist auf die Wirkung des Schwermetalls Uran zurückzuführen).
- Unspezifische Tumore, Lymphome, Leukämie, Magen- und Gallenblasen-Karzinome (in allen Uranabbaugebieten vermehrt aufgetreten, aber bisher nicht systematisch erfasst).
- Frühgeburten, Fehlgeburten, Missgeburten (hier gibt es einzelne gute Studien aus Indien und Australien, von der „Scientific Community“ jedoch noch nicht wahrgenommen).
Folgende Krankheiten werden beobachtet, sind aber noch nicht genügend erforscht:
- Frühzeitiges Altern
- Frühzeitiger Tod
- Schnelle Arteriosklerose
- Knochensarkome im Niger
- verzögerte Entwicklung bei Kindern
- Schwächung des Immunsystems
- Diabetes bei Kindern
- Depressionen
Weder in Afrika noch in Indien oder Russland werden neutrale Studien erlaubt. Konzerneigene Krankenhäuser geben keine Daten heraus. Ärzte, die eine strahlenbedingte Krankheit vermuten, werden entlassen und bekommen teilweise Berufsverbot (wird einhellig aus allen Regionen berichtet). Todesfälle werden dem Rauchen oder AIDS angelastet. In Nordamerika, Kanada und Australien gibt es zwar einzelne Studien, aber immer nur mit kleinen Gruppen und keine Längsschnittstudien.
In Arlit (Niger) werden erkrankte Arbeiter in der Regel entlassen und verlieren damit das Anrecht auf Behandlung im betriebseigenen Krankenhaus. In Indien werden zunehmend Wanderarbeiter für kurze Zeit eingesetzt, in China vorzugsweise Häftlinge.
Sozio-ökonomische Folgen:
Aus Abbaugebieten bei indigenen Völkern wird einstimmig und unabhängig voneinander berichtet, dass in Australien, Indien, Nordamerika, Kanada, Brasilien und Afrika die Menschen aus ihren angestammten Gebieten vertrieben werden und nicht wissen wohin sie gehen sollen. Die Menschen werden entwurzelt und von ihren heiligen Stätten getrennt, ein Trauma, meist schlimmer als Krankheit und Tod. Nicht überall in Afrika wehrt sich die lokale Bevölkerung gegen den Uranabbau, sie möchte aber an den Einkünften beteiligt werden. Das wurde zwar in vielen Fällen versprochen, aber nicht eingehalten. Eine Orientierung der Bevölkerung über die gesundheitlichen Folgen des Uranabbaus fehlt durchgehend in allen Abbaugebieten.
Zusammenfassung und Schlussfolgerung:
- Die Urangewinnung ist eine äusserst energie- und wasserintensive Industrie.
- Die Urangewinnung verursacht für die indigene Bevölkerung grossen sozio- ökonomischen Schaden
- Fundamentale Menschenrechte werden verletzt.
- Die Urangewinnung verursacht Silikose, Lungen-, Magen- und Nierenkarzinome in nicht bekannter Grössenordnung (weil Studien konsequent verhindert werden).
- Die Urangewinnung steht in dringendem Verdacht, Fehl- und Missgeburten sowie geistige Retardierung zu verursachen.
- Schnelles Altern, Arteriosklerose Immundepression und Knochensarkome, kindlicher Diabetes sowie Depressionen werden vermehrt beobachtet, sind aber noch nicht systematisch erfasst.
- Die Sanierung der Wismut-Zeche (ehemalige DDR) hat bisher 6,2 Milliarden Euro gekostet. Ähnliche Summen müssen eines Tages von allen Ländern, in denen Uran abgebaut wird, aufgebracht werden. Atomenergie wird eine exorbitant teure Energieform.
Wünsche und Forderungen der indigenen Völker an uns:
- Helft mit, die Arbeitsbedingungen und den Arbeitsschutz zu verbessern
- Helft mit, dass wir neutrale Ärzte bekommen, die uns beraten, unsere Leiden sauber diagnostizieren und uns therapieren.
- Fordert objektive Studien, wir können ja nichts beweisen.
- Helft uns mit Infomaterial für die betroffene Bevölkerung, denn sie weiss nicht, was da geschieht
- Helft mit, unser Ziel „Lasst das Uran in der Mutter Erde!" zu erreichen
Konsequenz für alle Ärzte:
- Wir müssen wissenschaftliche Arbeiten einfordern
- Wir müssen die Indigenen ernst nehmen. Sie brauchen unverstrahltes Trinkwasser und ebensolche Nahrungsmittel, bessere Luft und bessere Arbeitsbedingungen.
- Wir sind moralisch verpflichtet, unsere Kolleginnen und Kollegen über all diese Tatsachen aufzuklären und allen klar zu machen, dass unsere angeblich saubere, billige und CO2-freie Kernenergie bei anderen viel Leid verursacht.
- Wir müssen die Kraftwerksbetreiber und Politiker (die beide ganz offensichtlich nicht orientiert sind über diese Zustände) aufklären.
Aus alledem wäre doch wohl die Schlussfolgerung zu ziehen:
Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu!
*Günter Baitsch, ehemaliger Oberarzt am Kantonsspital Basel und langjähriger Leiter einer Klinik in Bad Säckingen. Gründungsmitglied von IPPNW-Schweiz (International Physicians for the Prevention of Nuclear War)