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Nachzerfallswärme

Nach dem Abschalten der Kettenreaktionen in einem Atomreaktor geht die Wärmeentwicklung weiter. Dieses Phänomen ist bekannt unter dem Namen „Nachzerfallswärme“. Viele der Spaltprodukte des Urans zerfallen weiter, bis sie sich in stabile Isotope umgewandelt haben. Damit am Reaktor keine Schäden entstehen, muss die Nachzerfallswärme zuverlässig abgeführt werden. Unmittelbar nach Ende der Kettenreaktion beträgt sie 5 – 10 Prozent der thermischen Energie beim Betrieb. In einem 1'300 Megawatt-Atomkraftwerk (elektrische Nettoleistung)  entwickelt der Reaktor eine thermische Leistung von 4'000 Megawatt. Am Anfang müssen also bis 400 Megawatt abgeführt werden, nach zehn Stunden immer noch 20 Megawatt und selbst nach Monaten muss weiter gekühlt werden, damit es nicht zu einer Kernschmelze kommt. 

Besonders problematisch ist die Situation, wenn bei einer automatischen Schnellabschaltung des Reaktors wegen fehlender Kühlung auch die Notkühlung versagt, wie das 2006 in Forsmark (Schweden) geschehen ist.

Näherungsformel zur Berechnung der Nachzerfallswärme nach Way und Wigner: 

Wird ein Reaktor für die Dauer T0 mit der Leistung P0 betrieben, so ist die Nachzerfallsleistung P zum Zeitpunkt t nach dem Abschalten

P(t) = 6,22 ∙ 10-2 ∙P0 ∙ [t-0,2 – (T0 + t)-0,2]

Die Formel gilt für den Zeitraum 10 Sekunden bis 100 Tage nach dem Abschalten (T0 und t in Sekunden).

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Atomkraftwerke – wie sie funktionieren

Nagra (Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle)

„Seit 1972 sucht die Nagra nach einem geeigneten Lagerstandort. Die Nagra ist ein Unternehmen der AKW-Betreiber, weil diese laut Kernenergiegesetz verpflichtet sind, die „radioaktiven Abfälle auf eigene Kosten sicher zu entsorgen“ und zwar in einem „geologischen Tiefenlager“, also irgendwo im Untergrund.

Die Nagra ging am Anfang dilettantisch vor, suchte vor allem im Granit, stiess überall auf Widerstand. Sie war wegen des Projekts „Gewähr“ unter Druck, das verlangte, bis 1985 müsse nachgewiesen sein, dass sich der Atommüll sicher entsorgen lasse, sonst würden die bestehenden Atomkraftwerke vom Netz genommen. Den Entsorgungsnachweis blieb die Nagra schuldig, die Abschaltung der AKWs wurde mit einigen juristischen Pirouetten umgangen, Projekte (siehe unten) wurden als Lösung deklariert.

1986 favorisierte die Nagra den Wellenberg im Kanton Nidwalden als Standort für schwach- und mittelaktiven Abfall. Die Bevölkerung wehrte sich und lehnte im Jahr 2000 das Projekt an der Urne definitiv ab. 

Parallel dazu hatte die Nagra im Zürcher Weinland das Projekt „Opalinuston“ vorangetrieben. Hier gedachte sie, ein Lager für hochaktiven Müll zu bauen. Sie reichte beim Bund ein entsprechendes Projekt ein. Der Bundesrat entschied, damit sei nun der Entsorgungsnachweis erbracht. Doch der Bund verlangte, die Nagra müsse noch weitere Standorte evaluieren. So stehen heute sechs Standorte zur Diskussion: Neben dem Zürcher Weinland sind es das Gebiet Nördliche Lägern und der Bözberg. Diese drei sollen geeignet sein zur Endlagerung von hoch-, mittel- und schwachradioaktivem Müll im Opalinuston. Daneben gibt es drei Standorte, die sich lediglich für ein Schwach- und Mittelaktiv-Lager eignen sollen: der Jura-Südfuss, der südliche Randen (beide im Opalinuston) sowie der Wellenberg (im Mergel).

Der so genannte Entsorgungsnachweis besagt, theoretisch liesse sich im Opalinuston ein Endlager bauen. Doch welches Ungemach in der Praxis droht, lässt sich im Mont Terri beobachten.“ (Energie&Umwelt 1/2010)

Weiter:
Endlager
de.wikipedia.org/wiki/Nagra
www.nagra.ch

Natürliche Radioaktivität

Natürliche Radioaktivität stammt aus Stoffen, die in der Erdkruste vorkommen und spontan radioaktiv zerfallen. Oder aus der kosmischen Strahlung, die permanent auf die Erde einwirkt. Die kosmische Strahlung ist eine Gammastrahlung und wird grösstenteils von der Lufthülle absorbiert. Aber eben nicht ganz, mit zunehmender Höhenlage nimmt die Intensität der kosmischen Strahlung zu. Im Verlauf der Evolution haben sich die Lebewesen (Pflanzen, Tiere, Menschen) an diese Strahlung gewöhnt. In welchem Masse die kosmische Strahlung für die normal auftretenden Mutationen verantwortlich ist, lässt sich schwer sagen. 

In der Schweiz beträgt die durchschnittliche Jahresbelastung an ionisierender Strahlung pro Person durch

kosmische Strahlung

0.35 mSv

terrestrische Strahlung

0.45 mSv

innere Bestrahlung

0.4 mSv

Radon in Wohnräumen

1.6 mSv

Medizinische Anwendung

1.0 mSv

Übrige(Fallout Atomversuche, Tschernobyl, Atomkraftwerke, etc.)

0.2 mSv

Total

4.0 mSv

(Quelle: ENSI)

Diese Zahlen werden gerne von der Elektrowirtschaft als Argument verwendet, um die Gefährdung der Bevölkerung durch Atomkraftwerke zu bagatellisieren. Aber die Zahlen täuschen. In Bezug auf die Radioaktivität gibt es zwar drei physikalisch identische Strahlenarten, aber deren Wirkung hängt vom strahlenden Material, von der Art der Einwirkung und der Einwirkungsdauer ab. Wenn, wie oben, von der „radioaktiven Belastung der Bevölkerung“ die Rede ist bleibt unberücksichtigt, ob es sich um eine Belastung durch kosmische Strahlen handelt oder um eine solche durch Alphastrahlen aussendende Teilchen innerhalb des Körpers.

Weiter:
Radioaktivität (Strahlenarten)

Niedrigstrahlung

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Radioaktivität (Wirkungen)

Normalbetrieb

Dass Atomkraftwerke auch im Normalbetrieb Radioaktivität an die Umgebung abgeben, bestreitet niemand. Die Abgabe gasförmiger Radioaktivität erfolgt meist nachts paketweise in so genannten „Hotspots“ über Hochkamine. Es sind vor allem radioaktive Edelgase, die nicht zurückgehalten werden können. Radioaktives Tritium gelangt mit dem Abwasser in Flüsse, Seen oder ins Meer.

Die Frage ist natürlich: Wie wirkt sich das aus? Vom Gesetzgeber wurden Grenzwerte für die Abgaben festgelegt. „Wer hat es denn erlaubt? Wer ist denn befugt, es zu erlauben?“, hat Albert Schweitzer gefragt. Dass Leute, die in einem Atomkraftwerk arbeiten einer höheren Dosis ausgesetzt sein dürfen als die normale Bevölkerung zeigt, dass diese Grenzwerte so angesetzt wurden, dass der Betrieb von Atomkraftwerken möglich ist. 

Die AKW-Betreiber betrachten die abgegebenen Dosen als vernachlässigbar und vergleichen sie gerne mit der natürlichen Radioaktivität. Die AKW-Gegner verweisen auf Studien und Beobachtungen, die eine negative Auswirkung in Form von erhöhter Krebshäufigkeit (siehe Krebs-Studien) und Missbildungen erkennen lassen. Diese Studien werden von den Befürwortern immer als „umstritten“ bezeichnet, Beobachtungen, wie diejenige von Cornelia Hesse-Honegger, werden ignoriert. 

Wissenschaftler werden in ihrer Arbeit behindert, sobald sich negative Auswirkungen des Normalbetriebes erkennen lassen. So beklagen sich zum Beispiel die Verfasser einer Leukämiestudie in Deutschland (2004 in der Elbmarsch) nach zahlreichen Behinderungen von Seiten der Behörden resigniert in ihrem Schlussbericht: „Wir haben das Vertrauen in diese Landesregierung verloren“. Ähnliche Erfahrungen machte auch John. W. Gofman bei seinen Forschungsarbeiten.

Jede zusätzliche Strahlenbelastung addiert sich zur natürlichen und erhöht dadurch das Gesundheitsrisiko. In der Praxis lassen sich bestimmte Erkrankungen weder im Einzelfall noch in ihrer Häufung einer bestimmten Ursache zuweisen, aber ebenso wenig darf umgekehrt behauptet werden, die entsprechenden Beobachtungen hätten mit Atomkraftwerken nichts zu tun. Die Atomwirtschaft profitiert hier von der Tatsache, dass im Einzelfall ein eindeutiger Nachweise der genauen Ursachen nicht erbracht werden kann und setzt die Bevölkerung der Gefahr aus, dass Niedrigstrahlung aus Atomkraftwerken eben doch Schäden verursacht.

Weiter:
Leukämie
Petkau-Effekt
Textdokumente

Notfallmassnahmen

In verschiedenen Ländern, so auch in der Schweiz und in Deutschland, sind Notfallmassnahmen vorgesehen für den Fall, dass aus einem Atomkraftwerk grössere Mengen Radioaktivität austreten. Diese Massnahmen beinhalten auch Evakuationspläne und Vorschriften für den Umgang mit bereits kontaminierten Personen.

Kontaminierte Personen sollen am Verlassen des verstrahlten Gebietes gehindert werden, falls sie nicht genügend dekontaminiert werden können. Evakuierungen gab es bis heute (2011) in drei Fällen. In Harrisburg wurden 1979 Kinder und schwangere Frauen evakuiert, in Tschernobyl die gesamte Bevölkerung im Umkreis von etwa 30 Kilometern, in Fukushima sind im August 2013 immer noch 100‘000 Menschen evakuiert. In allen drei Fällen erfolgte die Evakuierung erst mit Verzögerung.

Massnahmen

Evakuierungszonen Schweiz

Die Notfallschutzplanung für AKW-Unfälle unterteilt das Gebiet rund um Atomkraftwerke in zwei Zonen: Zone 1 umfasst die Haushalte im Umkreis von 3 bis 5 Kilometern, die Zone zwei das bis maximal 20 Kilometer von einem AKW entfernte Gebiet. Menschen in diesen Zonen werden je nach Schwere eines AKW-Störfalls evakuiert oder erhalten Jodtabletten. Der Rest der Schweiz fällt in Zone 3, für die keine Massnahmen vorgesehen sind. 

Bei einem Super-GAU würden auch Gebiete weit über den 20-Kilometer-Radius hinaus verstrahlt, inklusive des benachbarten Auslands. Ganze Landstriche müssten evakuiert werden.

Bei einem Radius von zwanzig Kilometern sind in der Nähe von Mühleberg die Städte von Biel bis Bern betroffen; bei einem Störfall in Gösgen, Leibstadt oder Beznau müsste ein grosser Teil des Mittellands evakuiert werden - vor allem in den Kantonen Aargau, Solothurn, Baselland und Zürich - sowie Gebiete in Süddeutschland.

Jodtabletten

In der Schweiz werden Jodtabletten weiträumig an die Bevölkerung abgegeben oder zur Abgabe im Katastrophenfall in Bereitschaft gehalten. Das bedeutet das behördliche Eingeständnis, dass wir mit einem Super-GAU jederzeit rechnen müssen. Die prophylaktische Einnahme von Jodtabletten verhindert die Aufnahme von radioaktivem Jod durch die Schilddrüse. Schilddrüsenkrebs hat übrigens gute Heilungschancen und ist bei einer Atomkatastrophe ein untergeordnetes Problem. Gegen die übrigen Folgen hilft nur die Evakuierung.

Weiter:
www.sichererstrom.ch
www.youtube.com „Zonenplan“

Evakuierung

Evakuierungen gab es im Zusammenhang mit den Atomunfällen1979 in Harrisburg (USA), 1986 in Tschernobyl (Ukraine) und 2011 in Fukushima (Japan).

Am 28. März 1979 ereignete sich in Three Mile Island bei Harrisburg (Pennsylvania) im Block 2 der bis dahin schlimmste Unfall in einem kommerziellen Atomkraftwerk: Auf Grund verschiedener Fehler der Bedienungsmannschaft kam es zu einer Kernschmelze, bei der drei Viertel des Reaktorkerns zerstört wurden. Erst zwei Tage danach, am 30. März, begann man mit der Evakuierung von Kindern und schwangeren Frauen aus der Umgebung des Kraftwerks. 

Im Falle von Tschernobyl bemerkte man im Westen die Katastrophe erst nach zwei Tagen. Auch in Russland wurde der Vorfall zuerst verschwiegen, erst nach zwei Tagen wurden schliesslich 135'000 Menschen aus der 30-km-Zone evakuiert. Sie mussten ihre Häuser ohne Vorwarnung verlassen. Im Zentrum des betroffenen Gebietes liegt die Stadt Pripjat, heute eine Geisterstadt, die unbewohnbar bleibt. Der Boden im weiten Umkreis ist immer noch schwer radioaktiv verseucht und darf landwirtschaftlich nicht genutzt werden.

Im Buch „Nach dem Super-GAU“ von Klaus Traube (Hamburg 1986), wird die Evakuierung wie folgt geschildert: „1'100 Busse und Lkws sollen es gewesen sein, die aus Kiew und allen näher gelegenen Ortschaften requiriert wurden, grösstenteils gefahren von Freiwilligen. Vor jedes Haus von Pripjat und dreier kleinerer Ortschaften seien sie gefahren, berichteten die Zeitungen. 36 Stunden nach dem ersten Feuerausbruch  habe man in nur zwei Stunden und 40 Minuten rund 25'000 Menschen in einer 20 Kilometer langen Kolonne aus Pripjat Richtung Süden gebracht. Die Gesamtzahl der Evakuierten aus der Zone unmittelbar ums Kraftwerk wurde später mit 49'000 angegeben. Und längst nicht alle gingen freiwillig. Milizeinheiten drangen teilweise mit Gewalt in die Häuser ein, um den Menschen das Ausmass der Gefahr näherzubringen. Schwierigkeiten muss es vor allem mit der Landbevölkerung gegeben haben, die mit der Umsiedlung nicht nur ihre Heimat, sondern auch ihren ganzen ländlichen Besitzstand, das Vieh, die Gärten und ihre Vorratslager aufgeben mussten. Vieh, hiess es später lapidar, sei „liquidiert“ worden.

In Bezug auf das Atomkraftwerk Gösgen waren sich Kritiker und Befürworter anlässlich eines Hearings einig, dass ein schwerer Unfall nie mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann und dass bei Westwind die ganze Ostschweiz evakuiert werden muss und dauerhaft unbewohnbar bleibt. 

Im Jugendbuch „Die Wolke“ von Gudrun Pausewang wird auf eindrückliche Weise geschildert, wie ein vierzehnjähriges Mädchen die Geschehnisse nach einer Atomkatastrophe im dichtbevölkerten Mitteleuropa erlebt. Das Buch wurde 2006 verfilmt, der Film von der ARD ausgestrahlt.

NWA (Nie wieder Atomkraftwerke)

Als 1965 die ersten Pläne für ein Atomkraftwerk in Kaiseraugst auftauchen, regt sich Widerstand in der Bevölkerung, nicht zuletzt auch wegen des Standortes in der Nähe der Stadt Basel.

Als das Projekt für ein Atomkraftwerk in Kaiseraugst konkreter wird und Pläne für 6 – 12 Atomreaktoren im Umkreis von 60 Kilometer bekannt werden, wird in Basel 1970 von Politikern, Wissenschaftlern und Gewerbetreibenden das überparteiliche „Nordwestschweizerische Komitee gegen das Atomkraftwerk Kaiseraugst (NAK)“ gegründet. Bereits in der ersten, informellen Sitzung werden Forderungen erhoben, die zum Teil noch heute aktuell sind: 

  • Verbot der Einleitung radioaktiver Abwässer in Flüsse
  • Wärmelastpläne für den Rhein (damals war die heute verbotene Flusswasserkühlung noch erlaubt und für Kaiseraugst vorgesehen)
  • Abkommen zwischen Deutschland, Frankreich und der Schweiz betreffend der geplanten Ballung von Atomkraftwerken am Oberrhein
  • Definitive Lösung für die Beseitigung und Lagerung der radioaktiven Abfälle.

Schon bald wird der sperrige Namen geändert in „Nordwestschweizer Aktionskomitee gegen Atomkraftwerke (NWA)“, nicht zuletzt auch, um Verwechslungen mit der Gewaltfreien Aktion Kaiseraugst (GAK) zu vermeiden.

1975 beteiligt sich das NWA an der Geländebesetzung in Kaiseraugst und ist an den nachfolgenden Verhandlungen mit dem Bund dabei.

Nach zwei leider negativen Eidg. Volksabstimmungen zur Verhinderung von Atomkraftwerken (1979 und 1984) wird 1990 ein zehnjähriges Moratorium für den Bau von Atomkraftwerken vom Volk angenommen. Alle drei Initiativen waren vom NWA lanciert oder mitlanciert worden.

Heute ist das NWA, das den Namen ein weiteres Mal geändert hat in Verein „Nie wieder Atomkraftwerke (NWA)“, zusammen mit den wichtigsten Antiatom- und Umweltorganisationen Mitglied der Allianz „Nein zu neuen Atomkraftwerken“ und setzt sich ein für die Förderung erneuerbarer Energien, für Energieeffizienz und einen möglichst raschen Ausstieg aus der Atomenergie. Dem NWA angeschlossen sind diverse Regionalgruppen.

Weiter:
www.nwa-schweiz.ch